Die Wirtschaftskrise führt zu vermehrtem Interesse am Thema Geld und Komplementärwährung. Das zeigt sich einerseits in zunehmender Wahrnehmung des Themas in den Medien ebenso wie in Anfragen bei bestehenden gemeinnützigen Komplementärwährungs-Systemen. Nur: einfach funktionierende Systeme kopieren ist nicht die Lösung. Hinter erfolgreichen Komplementärwährungen stehen Netzwerke, die für die jeweiligen Anliegen der Gemeinschaft maßgeschneiderte Systeme entwickelt haben. Worauf kommt es also an, wenn sich eine Gruppe entschließt, sich selbst über ein zusätzliches Zahlungs- und Verrechnungsmittel zu organisieren? Der Verein za:rt für die Zusammenarbeit regionaler Transaktionssysteme bot am 17. und 18. August 2009 im Bildungshaus St. Arbogast in Vorarlberg eine Komplementärwährungs-Entwicklungswerkstatt an, bei der Gernot Jochum-Müller, Obmann des Talentetauschkreises Vorarlberg, einleitend einen Überblick über Komplementärwährungen und ihre Zielsetzungen gab (Bild).
Mit welchen Anliegen kamen nun die TeilnehmerInnen aus Deutschland und Österreich zur Komplementärwährungs-Entwicklungswerkstatt ins Ländle? Einerseits fanden sich Menschen aus bestehenden Tauschsystemen ein, um Erfahrungen auszutauschen und Rat zu suchen. Das betraf die Software-Anwendung von Cyclos ebenso wie das Alltagsleben im Tauschkreis: Wie gelingt Öffentlichkeitsarbeit, Mitglieder-Motivation und eine bessere Einbindung Jugendlicher? Wie kann ein Nachbarschaftshilfe-Netzwerk Wirtschaftsbetriebe einbinden? Wie funktioniert überregionaler Austausch von Komplementärwährungen beim Clearing, das der Verein za:rt anbietet?
Weitere Projekte betrafen die Vorgangsweise bei der Einführung von Regiogeld bzw. den Aufbau einer Zeitvorsorge fürs Alter. Die Frage, ob sich Silbermünzen als gemeinnützige Tauschwährung eignen, tauchte ebenso auf das Anliegen, die Regiogeld-Idee in kommerzielle Wirtschaftsnetzwerke und Öko-Tourismusprojekte einzubeziehen.
“Bevor man sich mit Systemfragen beschäftigt, sollte das Ziel klar sein: Wozu braucht man überhaupt Neues Geld? Wo ist der Nutzen?”, leitete Gernot Jochum-Müller die Denkwerkstatt ein und trug mit einer Erklärung bestehender Komplementärwährungen zur Begriffsdefinition bei: “Wenn wir über Geldsysteme reden, sollten wir wissen, worüber wir reden. Bestehende Zahlungs- und Verrechnungssysteme unterscheiden sich durch die Deckung. Euro-gedeckte Systeme, bekannt als Regiogeld, sind ein Euro-Ersatz mit Lenkungsfunktion. Sie bleiben in der Region und führen zur Kaufkraftbindung, wobei hier das Vertrauen in den Euro als Grundlage dient. Leistungsgedeckte Systeme sind zusätzliches Geld, das auf Vertrauen in Gegenleistungen aus der Gemeinschaft basiert. Hier unterscheidet man zwischen geregelter Leistungsdeckung, die bei Tauschkreisen, Barterringen und manchen Regiogeldern anzutreffen ist, sowie in ungedeckte Systeme wie Joytopia oder die Tiroler Stunde. Leistungsgedeckte Systeme erfordern die Bildung sozialer Netzwerke. Das bedeutet in der Praxis, viel Beziehungsarbeit zu leisten.”
Welche materielle Form für das Medium Geld gefunden wird, ist der zweite Schritt: Hier steht derzeit Bargeld bzw. Gutscheingeld, Girokonten und e-Cash-Systeme als Guthaben-Speicher zur Verfügung.
Komplementärwährungen aufzubauen und entsprechende Systeme zu betreiben erfordert heute in der Praxis ein hohes Maß an Idealismus und ehrenamtlicher Arbeit. Besondere Bedeutung kommt zudem der Organisationsstruktur und dem professionellen Management zu – ohne beides laufen Systeme in Gefahr, dass nach anfänglicher Begeisterung die Initiative dahintümpelt und nicht den gewünschten Effekt bringt.
Für alle, die ins “Do-it-yourself”-Geldgeschäft einsteigen wollen oder bereits in Komplementärwährungs-Intitiativen aktiv sind, kommt mit der neuen EU-Zahlungsmittelrichtlinie ab Herbst 2009 eine neue Herausforderung hinzu: Diese Zahlungsmittelrichtlinie regelt sämtliche elektronische Geldtransfers und betrifft auch leistungsgedeckte Tauschsysteme, sobald die Tauschwährung in Euro eingewechselt werden kann. Reine Euro-gedeckte Gutscheinsysteme ohne elektronischen Zahlungsverkehr sind davon ausgenommen. Das heißt aber noch längst nicht, dass sich der Gesetzgeber um diese nicht kümmert: “Nach Auskunft der österreichischen Finanzmarktaufsicht sind Gutscheinsysteme, wenn sie gewerblich genutzt werden und einen gewissen Umfang überschreiten, Banklizenz-pflichtig. Dieser Umfang ist noch nicht definiert”, informierte Gernot Jochum-Müller über den aktuellen Stand. Damit können auch Gutscheinsysteme von Handelsketten oder Kaufmannschaften auf dem Prüfstand landen.
Der deutsche Regiogeld-Verband reagiert auf die bevorstehende europaweite Gesetzesänderung mit der Überlegung, ein eigenes Zahlungsinstitut zu gründen. Nach Erfüllung bestimmter Qualitätskriterien können Regiogelder dann über dieses abrechnen. Um den gesetzlichen Rahmen zu erfüllen, bietet sich weiters die Zusammenarbeit mit Banken – vornehmlich regionalen Genossenschaftsbanken an. Von der Zusammenarbeit profitiert auch die Bank, wie sich am Beispiel der Raiffeisenbank Langenegg zeigt: die Langenegger Talente als Gemeindewährung sieht man dort als Kundenbindungs- und Marketing-Instrument.
Die zweitägige Komplementärwährungs-Entwicklungswerkstatt widmete sich den Fragestellungen, indem mit der Moderationsform der kollegialen Beratung Lösungsansätze erarbeitet und praktische Tipps für das jeweilige Anliegen geboten wurden. Interessierte konnten an einer Exkursion nach Langenegg teilnehmen. Dort erprobt eine Landgemeinde seit über einem Jahr den praktischen Nutzen einer regional gültigen Zweitwährung – Infos auf http://www.langenegg.at
Den Abschluss bildete am Dienstag Nachmittag ein Vortrag von Mauricio und Rebecca Wild über ihre Arbeit in Equador, die vom Talentetauschkreis Vorarlberg mit Spenden unterstützt wird. Dazu hat sich auch eine Selbstbesteuerungsgruppe (Info hier) gebildet. Infos zum Projekt gibt´s auf wikipedia auf http://www.tauschkreis.net/kms/cms/kms.php?str_id=9.
Im Bildungshaus St. Arbogast fand die zweitägige Entwicklungs-Werkstatt des Vereines za:rt statt, an der Interessierte aus Österreich und Deutschland teilnahmen – darunter u.a. Tobias Plettenbacher von TIMESOZIAL in Oberösterreich und Josef Hoffmann aus Riedlingen in Bayern vom neuen Regiogeld-Projekt Donau-Taler (Bild rechts).
Gernot Jochum-Müller vom Talentetauschkreis Vorarlberg leitete die Entwicklungs-Werkstatt, die aufgrund des schönen Wetters gern in der Gartenanlage arbeitete (Bild links). Bild Mitte: Gaby Carl vom Talentetauschkreis Tirol interessierte sich für die Cyclos-Software zu Abwicklung der Tauschplattform im Internet sowie für die Einbindung junger Leute. Bild rechts: Spannende Einblicke in ihre Arbeit in Equador gaben Rebecca und Mauricio Wild, die vor allem für ihre alternative Pädagogik in Europa bekannt sind. Die Beiden befassen sich im Rahmen interkulturellen Lernens ebenfalls mit der praktischen Umsetzung von Komplementärwährungen.
Weitere Bilder von der zweitägigen Veranstaltung gibt´s hier in der Galerie…