Unterguggenbergers zukunftsweisender Wohnbau in Wörgl

Michael Unterguggenberger interessierte sich zeitlebens für Sozialreformen und versuchte, seine Gesinnung im politischen Leben in der Gemeinde umzusetzen. So zählte zu seinen Initiativen auch ein Wohnbauprojekt für Eisenbahner auf genossenschaftlicher Basis. Eigenheim mit Garten vor der Tür – zum Gemüseanbau ebenso wie zur Erholung.  Eine Siedlungsphilosophie, die auch die deutsche Gartenstadt-Bewegung und der Industriepionier Henry Ford forcierten.

Michael Unterguggenbergers Siedlungs-Projekt für Eisenbahner:  Erholung im eigenen Garten

Der Name des Wörgler  Bürgermeisters Michael Unterguggenberger ist heute untrennbar mit dem Wörgler Freigeld verbunden. Der aufgeschlossene und wissbegierige Lokführer war aber nicht nur für die Geldbewegung ein Vordenker, sondern auch in anderen Bereichen. Wie seine Wohnbau-Initiative für Eisenbahner in der Jahnstraße zeigt, wollte er für Arbeiter die Natur vor die Haustüre holen und er griff dazu vermutlich auch die Ideen der Gartenstadtbewegung in den 1920er Jahren auf.

Michael Unterguggenberger (2. von links auf der Lok stehend) kam 1905 als Lokführer nach Wörgl. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Michael Unterguggenberger (2. von links auf der Lok stehend) kam 1905 als Lokführer nach Wörgl. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Unterguggenberger als sozialdemokratischer Gemeinderat 1919 Vizebürgermeister. Die Schaffung von Wohnraum beschäftigte Michael mehrfach. So rief er einen Verein zur Errichtung eines Arbeiterheimes ins Leben und wirkte 1920 gemeinsam mit seinem Gemeinderats- und Eisenbahnkollegen Ernst Rothmüller, Oberrevident der Südbahn, an der Gründung einer Arbeitsgemeinschaft für Wohnbau mit.

Bereits ein Jahr später erwarb der zunächst als “Alpenland Bau- und Wohngenossenschaft” bezeichnete Zusammenschluss von Eisenbahnern, die sich ihr Eigenheim errichten wollten, ein Grundstück in der Viehmarktstraße. Das Wohnbauprojekt, das die Errichtung von zunächst vier Häusern vorsah, kam dort allerdings nicht zustande. Die Suche nach einem neuen Grundstück war schließlich erfolgreich, und 1924 baute die “Alpenländische Baugenossenschaft der Eisenbahner” in der Jahnstraße die Eisenbahner-Häuser, zu denen jeweils ein großer Garten gehörte.

Unterguggenbergers Haus in der Jahnstraße kurz nach der Fertigstellung 1924. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Unterguggenbergers Haus in der Jahnstraße kurz nach der Fertigstellung 1924. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Rosa´s Geschäft wurde nachträglich ans Wohnhaus angebaut. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Rosa´s Geschäft wurde nachträglich ans Wohnhaus angebaut. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Rosa Unterguggenbergers nochmals erweitertes Laden für Damen-, Herren- und Babymode 1942. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Rosa Unterguggenbergers nochmals erweitertes Laden für Damen-, Herren- und Babymode 1942. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv

Das Haus der Unterguggenbergers entstand ganz nach Michaels Vorstellungen. “Nach dem Entwurf meines Vaters wurde das Haus dann von der Baugenossenschaft gebaut”, erzählt Lia Rigler, Tochter von Michael Unterguggenberger. Während alle anderen Häuser als Doppelhäuser errichtet und nach dem Bau an die künftigen Besitzer verlost wurden, war Unterguggenbergers Wohnhaus auf Wunsch seiner Frau Rosa als Einfamilienhaus geplant – bereits mit der Absicht, ein Geschäft zu eröffnen. Unterguggenbergers Haus hob sich auch deutlich vom üblichen Tiroler Baustil ab und zeigt Architektureinflüsse von auswärts.

Unterguggenbergers Siedlungsprojekt für Eisenbahner, das laut grundbücherlicher Eintragung 1924 mit der  “Alpenländischen Baugenossenschaft der Eisenbahner in Innsbruck” umgesetzt wurde, könnte jene Wohnbauinitiative sein, aus der 1938 die “Alpenländische Heimstätte”  in Innsbruck wurde. Eindeutige Dokumente liegen der Wohnbaugesellschaft allerdings nicht vor.  Die Alpenländische Heimstätte zählt zu den gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften, die heute noch in Wörgl Projekte umsetzen.

Die fertig gestellte Bürgerschule Wörgl. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
In den 1920er Jahren wurde die neue Wörgler Bürgerschule (heute Neue Mittelschule 1) errichtet, die 1926 eröffnet wurde. Am Ende der Straße ist eines der Eisenbahner-Wohnhäuser zu sehen.

Sozialreformerische Ansätze: die deutsche Gartenstadtbewegung

Rosa war Michaels zweite Frau. Seine erste, Maria, war 1917 während des Ersten Weltkrieges,  geschwächt von Tuberkulose, gestorben und hinterließ ihm zwei minderjährige Söhne. Fünf Jahre später heiratete Michael Rosa und die Hochzeitsreise führte im November nach Leipzig.

Rosa und Michael Unterguggenberger 1922 auf Hochzeitsreise in Leipzig - hier vor dem Völkerschlachtendenkmal. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Rosa und Michael Unterguggenberger 1922 auf Hochzeitsreise in Leipzig – hier vor dem Völkerschlachtendenkmal. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv

Zu Leipzigs Sehenswürdigkeiten seinerzeit zählte der von Leberecht Migge (1881-1935) gestaltete Stadtpark. Migge war mit seinen Reformbestrebungen im städtischen Wohnungsbau einer der Pioniere der deutschen Gartenstadtbewegung. Sein besonderes Interesse galt dem privat nutzbaren Garten als erweiterter Wohnraum, wobei als Ziel ein “technisch guter Garten” galt. Migges sozialreformerische Bestrebung war, den benachteiligten Bevölkerungsgruppen damit eine Selbstversorgung zu ermöglichen.

Migge veröffentlichte 1913 sein Buch “Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts”, in dem er auf die Bedeutung von Kleingärten, Volksparks und Siedlungen für die arbeitende Bevölkerung als Erholungs- und Lebensraum zum Ausgleich für den harten Arbeitsalltag hinwies. Der Landschaftsarchitekt beteiligte im selben Jahr an der Internationalen Baufachausstellung in Leipzig und wurde daraufhin mit der Planung des Leipziger Stadtparkes, bezeichnet als Mariannenpark, beauftragt. Die Qualität der deutschen Stadtparkanlagen beklagte Migge 1913 in seinem Lehrbuch „Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts“: „…diese waren im wesentlichen Schaustücke und innerlich tot – dekoratives Grün“.

Im Garten der Familie Unterguggenberger 1935. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Ein Blick ins Familienalbum zeigt, dass sich Michael Unterguggenberger auch gern im Garten aufgehalten hat – hier mit Rosa und den Kindern Luis und Lia.

Der Garten der Familie Unterguggenberger erfüllt die Ansprüche Migges  auf Selbstversorgung und Erholung. “Der Garten war immer Sache meiner Mutter”, erinnert sich Lia.  Gemüse, Ribisl, Marillen, Birnen, Zwetschken und Äpfel aus dem eigenen Garten waren damals noch üblicher Bestandteil der jahreszeitlich bedingt wechselnden Küche. Der Garten diente als Erholungsraum und Freiraum für die Kinder, die damals – was keinesfalls selbstverständlich war – schon unbekleidet sommerlichen Badespaß genießen durften.

Rosa Unterguggenberger mit dem jüngsten Sohn Silvio am Arm und der Dichter Ezra Pound im Jahr 1935. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv
Rosa Unterguggenberger mit dem jüngsten Sohn Silvio am Arm und der Dichter Ezra Pound im Jahr 1935. Foto: Unterguggenberger Institut Archiv

Westseitig am Unterguggenberger Wohnhaus wurde Rosa Unterguggenbergers Laden (heute Büro des Unterguggenberger Institutes) angebaut, vor dem dann auch der amerikanische Dichter Ezra Pound stand, der dem Wörgler Freigeld in seinen Pisaner Gesängen eine zentrale Rolle einräumte. Da steht über den Bürgermeister geschrieben:
“… dessen Frau Hemden und Lederhosen verkaufte
und auf dessen Bücherbord  Henry Fords Leben stand…”

Pounds Blick fiel auch auf die Bibliothek Unterguggenbergers, aus der er drei Werke besonders hervorhob: Dantes Göttliche Komödie, Gedichte von Heinrich Heine und Henry Fords Biografie.

Was Michael Unterguggenberger bei Henry Ford gelesen hat

Lebenslanges Lernen war für Michael Unterguggenberger keine Last, sondern ein Bedürfnis. Als Kind einer armen Arbeiterfamilie hatte er nicht die Möglichkeit, eine umfangreiche Schulbildung zu erlangen. Seinen Wissensdurst stillte Unterguggenberger zeitlebens mit Büchern. Er eignete sich in vielen Bereichen Wissen an, befasste sich mit sozialreformerischen Schriften, erlernte autodidakt das Spielen mehrerer Instrumente und wirkte als Musiklehrer in der Jugendmusikkapelle der Arbeitermusik, die er ins Leben gerufen hatte. Zu den Büchern in Michael Unterguggenbergers umfangreicher Bibliothek zählte die Autobiografie des amerikanischen Industriepioniers und Fließband-Erfinders Henry Ford, die 1923 in deutscher Sprache, herausgegeben vom Paul List Verlag in Leipzig erschien.

Die Erfindung des Fließbandes, der auch den Siegeszug des Automobils als Massenware ermöglichte, entsprang einer eigentlich ganz anderen Absicht: Der 1863 geborene Henry Ford wollte ursprünglich Schlepper für die Landwirtschaft bauen, um den Bauern die harte Landarbeit zu erleichtern und die Produktion zum Wohl aller zu steigern. Wobei Ford die Verteilung des Wohlstandes auf alle ein Grundanliegen war. So formuliert er seinen Grundgedanken zur Industrie wie folgt: “Der wahre Leitgedanke der Industrie heißt nicht Geldverdienen. Der Industrielle Leitgedanke fordert Schaffung einer nützlichen Idee und Vervielfältigung ins Abertausendfache, bis sie allen zugute kommt.”

Kleinere Gemeinwesen mit Landwirtschaft
Henry Ford war für die Dezentralisierung der Industrie und gegen Großstädte, die für ihn etwas Bedrohliches, Ungezähmtes hatten: “Die Großstadt ist in Wahrheit ein hilfloses Ungeheuer”, schreibt er.  “Wenn wir uns in kleinere Gemeinwesen auflösen, in denen der Lebensstandard weniger hoch geschraubt ist, und die Produkte von Feld und Garten ohne die unnütze Verteuerung zahlreicher Zwischenhändler zu haben sind, wird es nur wenig Armut und Unzufriedenheit geben.” So zählte zu Fords Visionen, Fabrikarbeiter im Sommer als Feldarbeiter einzusetzen, um so einen Ausgleich zwischen künstlicher und natürlicher Lebensweise zu schaffen.

Bei Henry Ford las Michael Unterguggenberger aber noch ganz anderes, was ihn auch in seinem Engagement für die Freiwirtschaftliche Bewegung bestärkt haben dürfte: Für Ford war Geld mit Geld zu verdienen ethisch nicht richtig: “Produzieren darf nicht mit spekulieren verwechselt werden. Das Kapital muss aus der Fabrik, nicht aus der Bank fließen. Wir sind nicht dagegen, Geld zu borgen, und wir sind auch nicht gegen Bankiers. Wir sind nur gegen den Versuch, Geldanleihen anstelle von Arbeit zu setzen. Wir sind gegen jeden Bankmann, der das Unternehmertum als Ausbeuteobjekt betrachtet.”

“Löhne kürzen ist schlechte Finanzpolitik”
So hat Ford auch eine klare Haltung in punkto Aktienausgabe: “Aktionäre dürfen meiner Ansicht nach nur Leute sein, die selbst im Geschäft tätig sind und das Unternehmen als ein Instrument der Dienstleistung und nicht als eine Geldheckmaschine betrachten. ” Er meint: “Ein mäßiger Gewinn ist berechtigt, ein allzu hoher nicht.” Und an anderer Stelle: “Würde ich vor die Wahl gestellt, entweder die Löhne zu drücken oder die Dividenden abzuschaffen, ich würde ohne zu zögern die Dividenden abschaffen. … Löhne zu reduzieren ist schlechte Finanzpolitik, da zugleich die Kaufkraft reduziert wird. Anständige Löhne haben nichts mit Wohltätigkeit zu tun.”

“Spekulanten sind der Krebsschaden am Unternehmertum”
Als Unternehmer lehnte Ford Gewinn nicht ab, hält aber übermäßige Gewinne für nicht vertretbar: “Das sind die Spekulanten, die Ausbeuter, die untauglichen Elemente, der ständige Krebsschaden für das gerechte Unternehmertum. Von diesen Leuten ist nichts zu erwarten. Ihnen fehlt der Weitblick. Ihre Sehkraft reicht nicht über die eigenen Kassabücher hinaus.”

Ford registrierte schon zu seiner Zeit, dass in der Bevölkerung das Wissen über die Hintergründe des Geldsystems fehlt: “Man muss dem Volk helfen, das Geld richtig zu werten. Man muss ihm sagen, was Geld ist und was Geld schafft, und worin die Kniffe des heutigen Systems bestehen, durch die Staaten und Völker unter die Herrschaft einiger weniger Individuen gezwungen werden.”

“Armut und Krieg entspringen der gleichen Wurzel”
Traurige Aktualität hat auch folgende Aussage des Industriepioniers: “Die Armut in der Welt wird in den seltensten Fällen durch Gütermangel, sondern in der Hauptsache durch Geldknappheit erzeugt. Der Handelswettstreit der Nationen, der zu internationaler Rivalität und zu Kriegen führt, ist nur eine dieser Tatsachen in ihren Beziehungen zur Menschheit. So entspringen Armut und Krieg, diese beiden verhütbaren Übel, der gleichen Wurzel. Wir wollen versuchen, den Grund zu einer besseren Methode zu legen.”

Henry Ford zog seine Schlüsse aus seinen Beobachtungen: “Je eher wir auf die Basis unserer natürlichen Begabungen zurückkehren und das System des hol dir, was es zu holen gibt, allseits fallen lassen, desto früher werden wir der internationalen Selbstachtung und des internationalen Friedens sicher sein. Der Versuch, den Welthandel an sich zu reißen, kann zum Kriege, aber niemals zum Wohlstande führen. Eines Tages wird selbst die internationale Finanz das einsehen.”

Fords Kritik am Geldystem
Henry Ford sparte nicht mit heute leider immer noch aktueller Kritik: “Wir haben zur Zeit ein eingleisiges Geldsystem. Es bewährt sich prachtvoll – für die Besitzer. Es ist das an sich vollendete System für die zinseneinheimsenden, kreditbeherrschenden Finanziers, die im wahrsten Sinne des Wortes den Gebrauchsartikel Geld sowie die ganze Maschinerie, durch die er gemacht und verwendet wird, besitzen. Mögen sie an ihrem System festhalten, wenn sie es wollen. Das Volk ist auf dem besten Wege, dahinter zu kommen, dass es ein recht armseliges System für sogenannte harte Zeiten ist, da es das eine Gleis blockiert und den Verkehr sperrt.”

Visionär war der Automobil-Produzent und Besitzer von Eisenbahnlinien in den USA in  mehreren Belangen, unter anderem empfahl er schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts (!), sich Gedanken über erneuerbare Energiequellen zu machen:  “Wenn Nahrungsmittel zu reichlich vorhanden sind, um als Nahrungsmittel selbst verbraucht zu werden, warum dann nicht eine andere Verwendung finden? Es ist hohe Zeit, dass jemand diesen neuen Nutzen (Korn als Brennstoff, Öl und alkoholische Brennstoffe aus Getreide) erschließt.”