Klagenfurt. Nach einjähriger Pause organisierte heuer der Tauschkreis Kärnten das Vernetzungstreffen der österreichischen Tauschinitiativen, bei dem Delegierte aus sechs Bundesländern Erfahrungen austauschten und gemeinsame Projekte wie überregionale Zusammenarbeit und Leistungsaustausch inklusive Software-Anwendung bearbeiteten.
Was beschäftigt Menschen, die in einem der vielen Tauschkreise oder Zeitbanken in Österreich aktiv sind? Zur Vorbereitung des Vernetzungstreffens am 6. April 2019 tagten am Vortag bereits die Delegierten der ARGE za:rt (Zusammen Arbeit Regionaler Transaktionssysteme) im evangelischen Pfarrheim am Lendhafen in Klagenfurt, um Themen für die Tagesordnung zu sammeln und aufzubereiten.
Der große Boom nach der Finanzkrise 2008 flachte ab, nach stagnierenden Mitgliederzahlen wird in etlichen Initiativen sogar ein Mitgliederrückgang registriert. Was aber nicht immer ein Indikator dafür ist, dass weniger getauscht wird. Gerade Tauschsysteme, die seit Jahren laufen, sind damit konfrontiert, dass Mini-Netzwerke unter den Mitgliedern entstehen und nicht mehr verrechnet wird, was im Endeffekt die Struktur gefährden kann. Probleme, vor denen viele Initiativen stehen, hängen mit der ehrenamtlichen Struktur der Tauschsysteme zusammen: durch steigende Lebenshaltungskosten wird mehr Zeit in Erwerbsarbeit investiert, immer weniger Menschen sind zudem bereit, leitende Funktionen in der Organisation zu übernehmen.
„Den Mitgliederschwund sehe ich nicht negativ“, teilte Hertha aus Wien vom Talenteverbund Wien, Niederösterreich und Burgenland mit, der in 14 Regionalgruppen in Wien und Niederösterreich derzeit rund 800 bis 850 Mitglieder zählt. Sinkende Mitgliederzahlen am Papier sind auch Resultat der Durchforstung der Mitgliedskarteien – und so verbleiben häufig nur die wirklich Aktiven im System. Geschätzt wird der Tauschkreis von vielen Mitgliedern wegen der Sozialkontakte: „Ich habe sehr gute Freundschaften dadurch gefunden“, begründet Eva aus Kärnten ihre Tauschkreis-Aktivitäten, die sie seit 19 Jahren pflegt und sich immer wieder über ein Wiedersehen mit Gleichgesinnten bei den Vernetzungstreffen freut.
Tauschkreis-Neuzugänge trafen bei der Zusammenkunft in Klagenfurt auf „Tauschkreis-Veteranen“ wie Tobias Plettenbacher, der 2008 seinen Beruf an den Nagel hängte und sich mit vollem Elan in den Aufbau von WIR Gemeinsam stürzte. Seine Bilanz nach 10 Jahren fiel ernüchternd aus: Nach enormem Wachstum und Ergänzung der WIR Gemeinsam Nachbarschaftshilfe durch ein Unternehmensnetzwerk lösten sich im Vorjahr von 28 Regionalgruppen wieder 3 auf. „Keiner wollte Verantwortung übernehmen“, bedauert Plettenbacher, der auch seine Vortragstätigkeit 2018 eingestellt hat. Auflösungstendenzen sieht er auch bei anderen ambitionierten neuen Initiativen wie Gemeinschaftsgärten oder Food coops. Bei WIR Gemeinsam wirken über 100 Wirtschaftsbetriebe mit, das Netzwerk zählt 1.500 Konten und rund 2.000 Mitglieder. 2017 stagnierte die Mitgliederzahl, 2018 musste ein Rückgang von 10 % verbucht werden. „Was funktioniert, ist radikale Selbstorganisation in Minigruppen“, stellt er in seinem Umfeld fest.
Was macht „zart“?
Für die überregionale Zusammenarbeit in Österreich wie auch mit Tauschsystemen in der Schweiz und in Deutschland gründete sich vor über einem Jahrzehnt die Plattform za:rt, deren Buchstaben für „ZusammenArbeit regionaler Transaktionssysteme“ steht. Der service-orientierte Verein mit Sitz in Vorarlberg legte Regeln zur Abwicklung des Clearings zwischen den Tauschsystemen bei überregionalen Transaktionen fest, bietet einen gemeinsamen Marktplatz und die online geführte Urlaubsliste mit Übernachtungsangeboten war jahrelang ein Hit, bis sie mangels Wartung an Attraktivität verlor.
Wer bei za:rt mitmacht, muss jährlich seinen Umsatz melden, da der Außenhandel nicht mehr als 20 % der verwendeten Tauschwährung ausmachen soll. Solange alles über Konten verrechnet wurde, war die überregionale Leistungsverrechnung auch nachvollziehbar. Um den Buchungsaufwand zu verringern und die Transaktionen zu erleichtern, wurden vor fünf Jahren Zeitgutscheine eingeführt, die vom Konto des Tauschsystemes abgebucht werden und wie Bargeld funktionieren.
2017 wurde das aufgedruckte Ablaufdatum 2017 gemäß dem österreichischen Gutscheinrecht um 27 Jahre verlängert. Was aber nicht half, die Scheine in Umlauf zu bringen. Und jetzt steht man vor der Problematik, dass die Scheine „verschwunden“ sind – also offenbar von den Tauschkreismitgliedern nicht zurück zur Tauschkreiszentrale fließen, die Minus-Bestände bei den Tauschsystemen allerdings noch bestehen und den weiteren Außenhandel blockieren.
Was also tun? Umlaufgebühren einführen? Oder stattdessen die Zeitgutscheine an die Systeme verschenken und erst bei deren Einlösung als Leistung verbuchen? Diesen radikalen Vorschlag brachte Tobias Plettenbacher in die Diskussion ein. Eine Lösung für dieses Problems wird Aufgabe der za:rt-ARGE. Konsens herrschte jedenfalls darüber, dass der überregionale Leistungsaustausch weiter gepflegt und angeregt werden sollte. Das beinhaltet auch die Wartung der beliebten Urlaubsliste, die neu zu regeln ist.
Beschlossen wurde auch eine Neuorganisation von za:rt, da dem Verein derzeit personelle wie finanzielle Ressourcen fehlen und der Verein sehr eingeschränkt handlungsfähig ist. So sollen künftig statt Privatpersonen die Tauschsysteme Mitglied bei za:rt werden und dafür auch Mittel in Höhe von 2 % der jährlichen Mitgliedsbeiträge zur Verfügung stellen. Die Tauschkreise nominieren dann ihre VertreterInnen. Zu den weiteren Aufgaben von za:rt zählt die Software-Entwicklung (Cyclos), die Durchführung von Projekten wie Entwicklungswerkstätten für Komplementärwährungen und die Herausgabe eines Newsletters, der ebenfalls wieder aktiviert werden soll.
Datenverwaltung und Software
Die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO hat der Talentetauschkreis Graz vorbildlich geregelt (online auf https://wolkerl.talentetauschgraz.at/index.php/s/Go82b6bZJLQORlM#pdfviewer)
Viele Tauschsysteme verwenden zur Verrechnung die Software Cyclos, die nun in der neuen Version Cyclos 4 erstmals nicht mehr als reine open source Software zur Verfügung steht, von kleinen Tauschkreisen aber weiterhin kostenfrei genützt werden kann. Bis 300 User und einem Jahresumsatz von 100.000 Euro ist Cyclos 4 kostenlos, darüber fallen jährlich Lizenzgebühr an, die nach Größe gestaffelt sind (Info: https://www.cyclos.org/wp-content/uploads/2014/01/Cyclos_Price_list.pdf ). Cyclos 4 bietet zusätzlich zu den bisherigen Funktionen für Verrechnung, Marktplatz etc. jetzt die Möglichkeit, einen Webshop einzurichten, paypal zu verwenden, eine SMS-Schnittstelle und eine Beschlagwortung mit Benachrichtigung. Cyclos 4 Partner für den deutschsprachigen Raum ist die Allmenda-Genossenschaft in Vorarlberg.
Datenleck Yumpu.com
Durch Zufall entdeckten Mitglieder des Talentetauschkreises Graz die Online-Plattform Yumpu.com, die ohne Bewilligung von Tauschsystemen zahlreiche Tauschkreiszeitungen inklusive Kontaktadressen einfach online gestellt hat – und das über viele Jahre. Die Tauschsysteme sind aufgerufen, zu überprüfen, ob sie davon betroffen sind und im Sinne des Datenschutzes beim Schweizer Betreiber eine Löschung zu beantragen.
Gewerberechtsnovelle
Nachdem Zeitbanken und Tauschsysteme mitunter in rechtlichen Grauzonen wirken, erfolgte 2016 eine Strafrechtsreform, die nun festlegt, wann Tätigkeiten eine „gewerbsmäßige Begehung“ darstellen. „Wenn man über längere Zeit über 425 Euro im Monat daraus bezieht und dafür eigene Mittel und besondere Fähigkeiten eingesetzt werden, ist dafür ein Gewerbeschein nötig“, fasste Tobias Plettenbacher zusammen. Zu beachten sind weiters rechtliche Bestimmungen der Sozialversicherung und des Arbeitsrechtes sowie weitere gesetzliche Einschränkungen – so sind Ausgleichszulagenempfänger ausgeschlossen.
Sinus-Milieus: Wer ist die Zielgruppe fürs Tauschen?
Wer kommt bei der Anwerbung neuer Mitglieder als Zielgruppe in Frage? Informationen dazu lieferte Tobias Plettenbacher, der sich auf den Jugendforscher Bernhard Hainzelmaier und dessen Analyse der sozialen Milieus berief. Von zehn von der Firma Sinus Integral jährlich beschriebenen gesellschaftlichen Gruppe sind drei interessant, die 36 % der Bevölkerung ausmachen: Postmaterielle (9%), die aus Idealismus mitmachen – das sind engagierte Macher, ökologisch orientiert, ernährungsbewusst, sehr gebildet. Finanziellen Nutzen als Motiv haben die „Traditionellen“ (13 %) – Arbeiter und Pensionisten, sie nützen Zeit wie Geld, wollen Sicherheit, Stabilität, Nachbarschaftshilfe und eine Gegenleistung für ihre Arbeit. Die dritte Gruppe entspricht der Bürgerlichen Mitte (14 %), deren Motiv gelebte Gemeinschaft, Eigenverantwortung und Nachbarschaftshilfe ist. „Die Kunst ist, diese völlig unterschiedlichen Motive zu verbinden“, sieht Plettenbacher als Erfolgsfaktor fürs Marketing. Das bedeutet, unterschiedliche Botschaften für die drei Zielgruppen zu formulieren, bestenfalls mit prominenten BotschafterInnen.
Jugendliche und junge Familien sind nur sehr schwer erreichbar. Als Kooperationspartner rücken Kirchengemeinden und Gemeinden ins Blickfeld, wobei die Hauptzielgruppe Frauen sind.
„Unsere wichtigste Währung: sichtbar gemachte Wertschätzung und Vertrauen“
Zum Vernetzungstreffen am Samstag, 6. April 2019, reisten Delegierte aus Tirol, Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Steiermark und Kärnten an, wobei hier neben den klassischen Tauschkreisen auch das Generationennetzwerk und die Zeitbank Lengau vertreten waren. Der Saal des evangelischen Pfarrsaales neben der Johanneskirche verwandelte sich in einen bunten Marktplatz und fürs „talentierte“ Mittagsbuffet mit köstlichen warmen und kalten Speisen zeigten die Tauschkreismitglieder ihre Kochkünste.
Neben der Bearbeitung der organisatorischen und technischen Tagesordnungspunkte kristallisierten sich Themen heraus, die alle beschäftigen: Die Entsolidarisierung in der Gesellschaft und die Frage nach der Motivation fürs Mitmachen.
Solidarität und Gemeinschaft
Das gesellschaftliche Klima wird rauher. Zum steigenden finanziellen Druck kommt hinzu, dass vom System Egoismus belohnt wird. Mit sozialem Engagement ist nicht mehr automatisch Anerkennung verbunden – Gutmensch gilt mittlerweile als Schimpfwort.
Was kann Menschen also motivieren, aktiv zu werden? Den Nutzen sichtbar machen. Klare Botschaften vermitteln, die Emotionen erzeugen – und Rituale entwickeln und pflegen, die dem einzelnen Mitglied Wertschätzung vermitteln. Aufgaben klar verteilen und dadurch Identifikation mit der Gruppe zu schaffen motiviert ebenso wie die Leistungen des Vereins über Medien sichtbar nach außen zu tragen. Regelmäßige Treffen, teamorientiertes Arbeiten und durch das Entdecken eigener Fähigkeiten Freude erleben, Anerkennung und Freunde finden – denn schließlich sind es Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.
Als besonders schwierig erweist sich die Einbindung junger Menschen aufgrund geänderter Werte und Verhaltensweisen. Viel Zeit wird für „social media“ anstatt realer sozialer Netzwerke aufgewendet. Dabei verkümmern eigene Hobbys, viele Jugendlichen wissen nicht einmal mehr, welche Talente in ihnen schlummern.
„Was ist unser Ziel? Unsere Existenzberechtigung – unser Sinn? Wollen wir einen gesellschaftlichen Wandel, Nachbarschaftshilfe, gemeinsame Aktivitäten, ökologisch nachhaltig leben und politisch agieren?“ stellte sich das Plenum nachmittags Grundsatzfragen. Tauschsysteme vernetzen Menschen, bringen zusätzlichen Handlungsspielraum. Gemeinsame Anliegen und Aktivitäten fördern die Empathie und schaffen wieder Beziehungen.
Und so gelte es, Wertschätzung der Mitglieder, aber auch die Bedeutung der Tauschkreis-Struktur klar zu kommunizieren und – auch mit Kooperationspartnern -gezielt themenorientierte Aktivitäten und Projekte wie Repair-Cafés oder Büchertausch auszurichten, die auch Personen ansprechen, die nicht Mitglied sind, und damit das Interesse am Mitmachen zu wecken.
Wenn jemand neu einsteigt, sind Erstgespräch und Betreuung in der Anfangszeit ein wichtiger Schritt, Mitglieder auch zu halten. Dazu gehöre auch Aufklärung – dass beim Tauschkreis Minus-Kontostände systembedingt notwendig sind, damit der Verein funktioniert.
Denn das zeigt sich in der Praxis: Menschen wollen lieber Guthaben anhäufen als Verbindlichkeiten. Dieser Haltung kommen Zeitbank-Systeme entgegen, die nur im Plus starten und zielgerichtete Aufgaben erfüllen wie etwa Seniorenbetreuung. Lokal verankert und eingebettet in der Gemeinde ist die Zeitbank Alt & Jung in Lengau bei Strasswalchen in Oberösterreich, die aus dem Zeitbank-Modell 55+ entwickelt wurde und nach deren Vorbild bereits weitere 8 Vereine auf Gemeindeebene mit insgesamt 450 Mitgliedern aktiv sind.
„Bei uns sind 121 Leute aktiv, rund 6.000 Stunden sind in Umlauf“, gab Siegrid Pammer von der Zeitbank in Lengau einen Einblick. Wobei hier vor allem der soziale Aspekt im Mittelpunkt steht. Um ältere Leute einzubinden, werden Stunden zum Wert von 3,60 Euro verkauft. Die aktiven Zeitbank-Mitglieder erhalten kein Geld, sondern Zeitgutschriften. Der Altersdurchschnitt liegt bei 64 Jahren und so ist Siegrid Pammer der Generationenwechsel ein großes Anliegen. Es ist wichtig, die nächste Generation ins Boot zu holen, damit die jetzt ehrenamtlich Tätigen dann auch eine Gegenleistung für ihre geleisteten Stunden erhalten – einen Rechtsanspruch darauf gibt es nicht. Aus den Einnahmen spendet die Zeitbank Geld an andere Sozialvereine in der Gemeinde, unterstützt Aktionen wie Taxidienst für Ärztefahrten oder Essen auf Rädern und führt einen Sozialtopf, aus dem kostenlos Stunden vergeben werden können.
Vernetzungstreffen 2020
Im gesellschaftlichen Engagement sind sowohl Tauschsysteme wie auch Zeitbanken mit ähnlichen Herausforderungen und Aufgaben konfrontiert. So richtet sich die Einladung zum nächsten Vernetzungstreffen am 28. März 2020 an alle Interessierten. Am Tag zuvor wird wieder das ARGE-Treffen stattfinden – der Austragungsort für beides wurde noch nicht festgelegt.