Der CryptoCircle des Unterguggenberger Institutes im September 2022 befasste sich mit einem Nachhaltigkeitsthema: Jan Kuhnert stellte im Impulsvortrag das Modell regionaler Einkaufsgenossenschaften in der Nahversorgung am Beispiel des Ennstaler Dorfladens „Ums Egg“, das Genossenschaftswesen generell sowie weitere Organisationsformen regionaler Versorgung vor.
Die ersten Konsumgenossenschaften in Österreich wurden im Zuge der Industrialisierung seit 1860 durch Arbeitervereine ins Leben gerufen. Sie waren wie Wohnbaugenossenschaften – die erste wurde in Wien gegründet und wurde ein weltweiter Exportschlager – bis zum 2. Weltkrieg eine zentrale Säule der Gewerkschaftsbewegung. Danach erfolgte eine Aufspaltung in branchenweis organisierte Einkaufsgenossenschaften etwa für Bäcker, Maler oder Gastro, Initiativen zur Verbindung der Endverbraucher waren selten. Das änderte sich erst wieder mit dem Aufkeimen ökologischer Bewegungen. Und seit 2010 ist eine deutliche Steigerung sowohl bei der Anzahl als auch beim wirtschaftlichen Umfang spürbar.
„Genossenschaften sind eine Alternative zum kapitalistischen Ansatz“, so Kuhnert. Der Zusammenschluss basiere auf Vertrauen und gegenseitiges Wohlwollen, auf gemeinsamem Interesse und einer Beteiligungskultur anstatt auf Konkurrenzdenken und monetärer Profitmaximierung. Genossenschaften sind Wirtschaftsbetriebe, die im Gegensatz zu Vereinen aber durchaus auch Gewinn anstreben – allerdings kommt dieser allen Mitgliedern gleichermaßen zu Gute.
Den aktuellen Genossenschaftsboom in der Nahversorgung erklärt sich Jan Kuhnert durch zwei Trends: „Den Rückgang der Kreisler im ländlichen Gebiet und die neuen technischen Möglichkeiten, mit denen der Aufwand verringert werden kann.“ In der Praxis werden Verträge zwischen Produzenten, Genossenschaft und Konsumenten abgeschlossen, in denen etwa Lieferbedingungen, Preisgestaltung und Geschäftsbedingungen geregelt werden.
Wie so eine moderne Genossenschaft aussieht, erläuterte er am Beispiel des Dorfladens „Ums Egg“ in Losenstein in Oberösterreich (https://ums-egg.at/) Das Genossenschaftsgeschäft besteht seit 2018, weist 135 Eigentümer, 72 Lieferanten und einen Bio-Anteil von 70 % aus. Durch ein neuartiges Zutrittssystem können Mitglieder rund um die Uhr jeden Tag einkaufen und digital bezahlen. An drei Tagen pro Woche ist der Laden auch für Nicht-Mitglieder geöffnet und wird von professionellem Verkaufspersonal betreut. Das Scanner-System organisiert nicht nur die Bezahlung, sondern auch gleich die Wiederbestellung der Waren.
Das Ziel bei der Genossenschaftsgründung war Sicherung der Nahversorgung, Ortskernbelebung und die Zusammenarbeit mit regionalen Landwirtschaftsbetrieben. Regionale Produkte aus einem Umkreis von 40 km bilden den Schwerpunkt und werden mit überregionalen ergänzt, um ein modernes Nahversorger-Sortiment anzubieten. Auf gerechte Entlohnung und faire Preise legen wird besonderer Wert gelegt. Zum nachhaltigen Wirtschaften zählen kurze Lieferwege, wenig Verpackung, „Lebensmittel-Rettung“ durch das Einfrieren oder Verschenken nicht mehr verkaufsfähiger Lebensmittel. Die wirtschaftlichen Vorteile aus dem Direktvertrieb werden an die Konsumenten weitergegeben.
Genossenschaften bauen auf das Engagement der Mitglieder. Ein Genossenschaftsanteil kostet 100 Euro, die Mindesteinlage für Mitglieder sind 300 Euro. Damit haben sie in der jährlichen Generalversammlung Mitspracherecht, auch bei der Sortimentsgestaltung. Das Genossenschaftskapital wurde für Investitionen in Umbau, Renovierung, Technik, Geräte, Regale und Software investiert. „Im Gegensatz zu Vereinen gibt es bei Genossenschaften keine Ehrenamtlichen. Geschäftsführer und Personal werden entlohnt“, so Kunert. Das 1.700 Einwohner-Dorf Losenstein machte mit der Genossenschaftsgründung zudem ein leerstehendes Gebäude nutzbar.
„Die Vorteile der Genossenschaft liegen im Mitsprache-Recht – je Kopf eine Stimme“, betont Jan. Die jährliche Vollversammlung, der Vorstand und bei Genossenschaften ab 40 MitarbeiterInnen ein Aufsichtsrat sind Bausteine der Mitbestimmung. Der bestellte Geschäftsführer wird im Firmenbuch eingetragen. Mitglieder haften im Umfang ihrer Einlage, notfalls mit dem doppelten Betrag, aber nicht darüber hinaus. Der Gründungsvorgang ist ähnlich wie bei anderen Firmen, wobei Genossenschaften in bestehende Prüfverbände einzutragen sind. Die Gründung ist ab zwei Personen möglich. Die Satzung wird von der Wirtschaftskammer geprüft und freigegeben, die Gründungskosen sind niedrig.
„Die Vorteile bei Einkaufsgenossenschaften sind das Eigenkapital im Gemeinschaftsbesitz, Mitsprache, Bezug zu den Menschen, gezielte Bewerbung von Angeboten, kürzere Lieferketten und saisonale Angebote“, fasst Kunert zusammen. Einschränkend seien der hohe Abstimmungsbedarf, fallweise erforderliche Mitarbeit, die Verfügbarkeit von Produkten sowie das leicht höhere Preisniveau im Vergleich zu Discounter-Ketten. Andere gemeinschaftliche Nahversorger in Tirol sind Hofläden, Bauernmärkte, Gemüsekisten oder digitale Vernetzungsprojekte wie www.wirkaufenin.tirol