MGS3-Kongress-Finale: Den Wandel gestalten

War der MGS-Kongress 2012 noch fokussiert auf den Schwerpunkt Geldreform, so öffnete sich der MGS3-Kongress 2013 weiteren Themen des gesellschaftlichen Wandels, der auf mehreren Ebenen ansetzt. Wichtig wird interdisziplinäre Zusammenarbeit, um möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, selbst aktiv zu werden und die Veränderung zu sein. Welche Ansätze dazu bestehen, kam beim Kongress-Finale zum Ausdruck.

Beim MGS3-Kongress – von links: Referent Fritz Andres beim Vortrag darüber, wie sich eine Geldreform auf Konzerne auswirken könnte. Dieses GCN-Team wickelte die Vortragsreihe im Wilhelm-Friedemann-Bach-Saal im Schloss von Köthen ab. Bild rechts: Zu den Kongress-Austragungsorten zählte der Vortragssaal in der der Europäischen Bibliothek für Homöopathie – mit dabei: Castor TV (www.castortv.de), das von ausgewählten Vorträgen Livestream-Übertragungen ins Internet brachte.

Helmut Creutz zur Wirkungsweise unseres Geldsystems

Die Bundeszentrale von Global Change Now ist mit Villa Creutz nach ihm benannt  – Helmut Creutz zählt zu den Pionieren der Geldreformbewegung, der seit den 1980er Jahren auf die Wirkungsweise des zinseszinsbelasteten Geldsystems aufmerksam macht und Aufklärungsarbeit mit zahlreichen Büchern und Vorträgen leistet. Beim Macht Geld Sinn Energie Kongress ging er am letzten Kongresstag in seinem Referat auf die “Problemfelder unseres Geldsystemes” ein und ging dabei auf Staatsverschuldung und den Zins als Wachstumstreiber ein und erklärte, warum jeder Zinsen zahlt, auch wenn man keinen Kredit hat.

    

Helmut Creutz (Bild Mitte) stellte sich nach seinem Vortrag den Fragen des Publikums, die Moderation übernahm Andreas Bangemann, Schriftsteller und leitender Redakteur der Zeitschrift “Humane Wirtschaft”.

“Schulden zahlen sich nicht aus – mit den Krediten von heute zahlt der Staat nur die Zinsen von gestern auf Kosten der Generation von morgen”, zitierte Creutz den deutschen Staatssekretär im Finanzministerium Manfred Overhaus und stellte zur Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich fest, dass die “erträgliche Grenze längst überschritten ist”. Im jetzigen System seien 80 % der Menschen immer Verlierer. Creutz bezeichnete einmal mehr den Zins als “Wurzel des Übels, der durch den Zinseszinseffekt die Geldströme wachsen lässt.”

  

MGS3-Kongress als Raum für Dialog: Im Bild links Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland, GCN-Generalsekretär und Moderator Tom Aslan, Dr. Antje Vollmer, freie Autorin und Mitglied der Grünen. Bild Mitte: Gudula Frieling vom CGW – Christen für gerechte Wirtschaftsordung und Aiman Mazyek, die bei einem Kaffee in der Pause gleich mit dem interreligiösen Dialog starteten. Bild rechts: Als Kameramann ebenso im Einsatz wie als zentraler Medienkoordinator bei GCN: Thomas “Fuchs” Kerr.

“Wir brauchen eine ganzheitliche Ethik und eine neue Leitkultur”

In Dialog treten mit anderen – der MGS3-Kongress öffnete sich neuen Themenbereichen wie Energie und Demokratie, aber auch für den interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen mit der Zielsetzung, die gemeinsame Wirtschaftsethik zu betonen und eine notwendige überkonfessionelle Debatte über das Zinsthema anzustoßen.

“Wir sind eine säkulare Organisation, aber wir sind dialogfähig”, erklärte GCN-Generalsekretär Tom Aslan bei der Vorstellung von Aiman Mazyek, der beim MGS3-Kongress seine Gedanken zur Frage “Lassen wir uns tatsächlich von einer universellen Ethik und den Menschenrechten in wirtschaftlichem und ökologischem Handeln leiten?” formulierte und zunächst Grundsätzliches über den Islam voran stellte.

Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland, in der Hilfsorganisation Grünhelme e.V. tätig und vertritt liberale Standpunkte zum Islam. Waren es in den 1960er Jahren noch 400.000 Muslime in Deutschland, so sind es heute an die vier Millionen in 2000 Gemeinden, organisiert in vier Verbänden. In der gegenwärtigen Islam-Debatte werde die Religion sehr oft missverstanden. “Islam bedeutet Hingabe zu Gott, Frieden machen – und das verpflichtet zu Gerechtigkeit gegenüber den Menschen und der Umwelt, zu Barmherzigkeit und Vergebung”, so Mazyek, wobei der Islam keine Unterscheidung von weltlich und religiös gebe, anders als in der europäischen Aufklärung sei keine Trennung von Religion und Vernunft erfolgt. “Jeder Mensch ist Gottesstellvertreter auf Erden. Das heißt die Erde pflegen und hegen, nicht Untertan machen und ausbeuten.”

Dass der Islam heute so kontrovers wahrgenommen und emotional diskutiert wird, liege auch daran, dass viele Missstände auf den Islam projeziert werden, mit denen sozioökonomische Probleme verbunden sind. Das Trennende werde künsltich herausdestilliert und als Gefahr erklärt, Vorurteile und Ressentiments gepflegt sowie in der Sündenbock-Diskussion Ersatzbefriedigung gesucht. Die Religion werde als Problem definiert, nicht über das Verbindende.

“Die Demokratie und der Wohlstand heute sind gefährdet, von Maßlosigkeit bedroht – das Thema der Religion ist Maßhalten”, so Mazyek. Der Kapitalismus dürfe keine neue Religion sein. “Beim Geld brauchen wir eine notwendige Debatte über das Zinsthema, überkonfessionell. Durch Wissenschaftsgläubigkeit und Maßlosigkeit haben wir verlernt, den ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Es ist unsere einzige Chance, Spielregeln für alle aufzusetzen.” Bis heute habe man es nicht geschafft, den Ressourcen-Raubbau in den Gleichungen der Volkswirtschaft unterzubringen. “Wir sehen nicht ganzheitlich – jeder sieht nur sein Feld. Was wir brauchen, ist eine ganzheitliche Ethik – und dieser Prozess braucht das Gehirnschmalz vieler. Wir brauchen eine neue Leitkultur jenseits von rechts und links.”

    

Deutsche Politikerinnen als Referentinnen beim MGS3-Kongress: Dr. Antje Vollmer von den Grünen referierte zum Thema “Politikfrust – Politikerüberdruss – Politikerohnmacht” (links im Bild links), hier im Gespräch mit der ehemaligen Justizministerin Prof. Dr. Herta Däumler-Gmelin, Mitglied der SPD (Bild Mitte), die ihren Vortrag unter das Motto “Macht – Vollmacht -Ohnmacht” stellte.

“Es bewegt sich garnichts, wenn man selbst nichts tut”

Sie beschäftigt sich seit 50 Jahren durchgehend mit Politik, ist ein “Urgestein” der SPD, seit 1972 Mitglied im Bundestag, war von 1998 bis 2002 Justizministerin und arbeitet als Beraterin in Menschenrechts- und Rechtsstaatfragen, ist Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin und führte Bundesklage gegen ESM und den Europäischen Fiskalpakt – Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin kennt alle Facetten der Politik. Sie versteht die Politikverdrossenheit vieler, ortet dahinter Ohnmachtsgefühle. Aber wie geht man damit um?

Däubler-Gmelin kommt aus der 1968-Bewegung und wurde im Bundestag immer wieder mit der Frage konfrontiert, was ist ein verantwortungsvoller Kompromiss? Was eine Minderheitenposition? Und was Unterwerfung? Ohnmächtig fühlen sich nicht nur Bürger, das Gefühl kennen auch ihre Volksvertreter. Macht und Politik gehöre zusammen: “Politik, die Macht nicht will, ist Spielerei.” Aber welche Macht? Sie unterscheidet zwischen absoluter, “von oben” legitimierter Macht und gebundener Macht, der Vollmacht, die “von unten” durch einen Gesellschaftsvertrag – die Verfassung – eine inhaltliche Bindung an Menschenrechte und Gewaltentrennung sowie demokratische Kontrolle umfasst.

Gebundene Macht in einer Demokratie müsste also Ohnmacht, die angesichts absoluter Machtverhältnisse auftritt, ausschließen. Dass diese missbauchsanfällig sei, zeigen Vorfälle wie Stuttgart 21, wo selbst eine Volksabstimmung nicht geschützt habe. Die Eurorettung ähnle Stuttgart 21 in fataler Weise, meint Däubler Gmelin und hofft, dass beim ESM das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. “Die Euro-Rettung verändert Europa – weg von der parlamentarischen Kontrolle”, warnt sie. Die Eurorettung sei für die südlichen Länder eine Katastrophe – halbierte Gehälter, Streichung von Stipendien, gekürzte Renten etc. Und die EZB sei überhaupt nicht kontrollierbar,  Europa habe kein System der gebundenen Macht, keine Bevollmächtigung.

Wird die politische Macht zu stark von Lobbyisten und Geld beeinflusst? Soll man das hinnehmen oder etwas dagegen machen? Däubler-Gmelin ist für die zweite Variante und fordert die Wähler auf, aktiv zu werden und Abgeordnete direkt anzusprechen: “Man kann mehr Einfluss nehmen als man glaubt.” Ob Abgeordneten-Watch, Lobbycontrol oder Transparency – der Bürger soll mehr Transparenz und Kontrolle einfordern, wozu sie sich auch mehr Direkte Demokratie von den Kommunen bis hin zur europäischen Ebene wünscht. “Macht muss immer gebunden sein”, ist ihre Überzeugung und “es bewegt sich garnichts, wenn man selbst nichts tut” laute der Grundsatz der Demokratie. Die Veränderung von anderen zu erwarten funktioniere nicht, denn das sei “das Peinliche an der Demokratie – wenn man mit einem Finger auf andere zeigt, zeigen drei zurück zu einem selbst. Unsere Gesellschaft darf nicht weiter in Richtung marktfähige Demokratie verkommen”, lautet ihr Appell an die Zivilgesellschaft.

Und der geht auch dahin, selbst für politische Ämter zu kandidieren. Bei Wahlen könnten nicht nur Parteien antreten, auch Einzelpersonen, wobei der Vorteil der Partei darin bestehe, dass vorher ein Porgramm da ist. Um zu gestalten, braucht es Mehrheiten, man müsse Werterahmen setzen und diskutieren. Wenn Parteien sich dann nicht an die Vereinbarung mit ihren Wählern halten, können sie bestraft werden, indem sie nicht mehr gewählt werden. Und was das Problem der Korruption betrifft, tritt Däumler-Gmelin seit Jahren für größtmögliche Transparenz ein: “Alle Einkünfte sollen offengelegt werden, wie in Schweden.”

In der regen Diskussion kamen dann so einige Vorschläge – von der Bannmeile für Lobbyisten bis hin zum Vorschlag, dass jeder 10 % seiner Einkommenssteuer zweckgebunden für Projekte widmen kann. Ob denn der Politik die Zinsproblematik im Geldsystem nicht bewusst sei wurde ebenso gefragt wie nach dem Zusammenhang von Waffenexporten und Arbeitslosigkeit sowie mangelnder ökologischer Gesetzgebung und Arbeitslosigkeit. Herta Däumler-Gmelin räumte ein, dass der Wachstumszwang zur Rüstung führe und bislang noch keine einzige Partei den Zins ablehne: “Die Diskussion ist noch lange nicht da, wo sie hingehört – das gehört noch deutlicher diskutiert.”

GCN: Netzwerk ausbauen und weitere Veranstaltungen

Global Change Now e.V. umfasst derzeit rund 80 AktivistInnen bundesweit und setzt auf dezentrale Strukturen. “Das Netzwerk soll funktionieren”, erklärte Tom Aslan, hier im Bild rechts mit GCN-Geschäftsführer Manuel Schürmann, und wies auf den jungen Altersdurchschnitt der Mitwirkenden hin, die eine gesellschaftliche Veränderung wollen, sich dabei aber nicht als “Hüter von Ideen” verstehen. “Wir sehen unsere Aufgabe angepasst an die Gegenwart darin, mit Klarheit und Wachheit Bildungsarbeit zu machen. Wir können trommeln, und das werden wir tun.” Unter anderem beim nächsten großen Event am 3. August 2013 in Berlin, dem Mauerpark-Festival. Insgesamt plant Global Change Now heuer acht Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet, 2012 waren es noch drei.

Laufend aktuelle Informationen über die Aktivitäten von Global Change Now gibt´s auf http://globalchangenow.de