Was tut sich bei den österreichischen Zweitgeld-Initiativen? Ganz im Zeichen des Erfahrungsaustausches sowie der Koordination der Zusammenarbeit stand das Salzburger Vernetzungstreffen österreichischer Tauschsysteme von 16. bis 18. April 2010.
Das Vernetzungstreffen der österreischischen Tauschsysteme von 16. bis 18. April 2010 in Salzburg gipfelte im Treffen der Initiativen am Sonntag im Bildungshaus St. Virgil. Gestartet wurde am Freitag Abend mit einem Komplementärwährungs-Stammtisch im Urban Keller. Der Samstag stand ganz im Zeichen der zartesNetz- und za:rt-Aktivitäten. Fritz Keller vom Talente-Experiment Salzburg begrüßte rund 40 TeilnehmerInnen am Sonntag (Bild links). Sylvia Amsz, Netzwerkkoordinatorin von zartesNetz sowie Vorstandsmitglied von za:rt und Rolf Schilling vom Talente Tauschkreis Vorarlberg und ebenfalls za:rt-Vorstandsmitglied moderierten das Vernetzungstreffen.
Informatives Vernetzungstreffen der österreichischen Tauschsysteme in Salzburg
Zeitbanken, Regiogeld, Tauschkreise – eine klare Abgrenzung gibt es nicht in der Vielfalt der österreichischen Initiativen, die in der rechtlichen Organisationsform vorwiegend Vereine sind. Ausnahmen bilden da der Talente Tauschkreis Vorarlberg, der Tauschkreis wie Gemeindegelder über eine eigens gegründete Genossenschaft abwickelt, sowie das Wörgler Jugend-Komplementärwährungsprojekt I-motion, das von der Stadt getragen wird.
Zur österreichweiten Zusammenarbeit wurde vor einem Jahr das Netzwerk zartesNetz unter dem Dach des Vereines za:rt, der das Dreiländer-Clearing zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz organisiert, ins Leben gerufen. Die Plattform dient zum Informationsaustausch beispielsweise über Urlaubsangebote und soll Auskunft über die Mitgliedsinitiativen geben. Wie die Zusammenarbeit verbessert werden kann, damit beschäftigten sich am Samstag vormittags 26 TeilnehmerInnen. Der Mitgliedsbeitrag für zartesNezt macht übrigens jährlich 30 Euro und 10 Stunden aus.
Zum 1. österreichischen za:rt-Clearing-Vernetzungstreffen am Samstag Nachmittag konnte Rolf Schilling 31 Interessierte begrüßen. Viele Initiativen sind allerdings noch nicht Mitglied beim “Tauschkreis” der Tauschsysteme, über den der Leistungsaustausch zwischen den Systemen geregelt und abgewickelt wird. Als neues Mitglied wurde nun der Talente-Tauschkreis Wien eingebunden. Die vor 2 Jahren fürs Clearing vereinbarten Spielregeln haben sich bewährt. Pro Buchung fällt eine Gebühr von 6 Minuten an und besonders aktive Vereine können das za:rt-Clearing auch pauschal mit 6 Stunden jährlich abgelten. Ansprechpartner dafür ist Rolf Schilling, weitere Infos auf der neu gestalteten Website der Plattform für die Zusammenarbeit regionaler Transaktionssysteme lwww.zart.org
KAESCH startet in Wien im Oktober 2010
Das Vernetzungstreffen am Sonntag startete mit einer Vorstellung bestehender wie neuer Initiativen. Zu den neuen zählt der Talente Tauschkreis Bad Ischl ebenso wie der Talente Tauschkreis Mattsee und Neumarkt sowie das Projekt KAESCH in Wien. “KAESCH steht für das betroffene Wohngebiet Kabelwerk, Alt-Erla und Schöpfwerk”, erklärt Georg Brandenburg (Bidl rechts). Das interkulturelle Projekt startet im Oktober 2010 nach der Wiener Gemeinderatswahl und befindet sich derzeit in der Aufbauphase.
TTK Vorarlberg auf Erfolgskurs
Österreichs größtes Tauschsystem befindet sich in Vorarlberg. “Die Talente-Genossenschaft verzeichnete 2009 einen Umsatz von 1,2 Millionen Euro allein im Gutscheinsystem”, berichtete Rolf Schilling, wobei hier vor allem die Gemeinde Langenegg mit ihrem Gemeindegeld Erfolge verbucht. Dort wurden im Mai 2008 die Talente-Gutscheine als Gemeindezahlungsmittel eingeführt, um das Lebensmittelgeschäft im Dorf und damit die Nahversorgung zu erhalten. Die Rechnung ging sich sowohl für die Gemeinde wie für den Dorfladen-Pächter auf: “Der Dorfladen erzielte im ersten Jahr einen Umsatz von rund einer Million Euro, 150.000 Euro davon mit Talente-Gutscheinen.”
Das Land Vorarlberg verwendet ebenso Gutscheine des TTK Vorarlberg: Mit den “Tua eppas”-Gutscheinen bedankt sich das Land bei ehrenamtlich tätigen Menschen, die die Talent-Guthaben bei Tauschkreispartnern einlösen können.
Zu den Projekten des TTK Vorarlberg zählt u.a. das Interreg-Projekt “Gemeinschaft Vorsorge Nahversorgung” (Info hier). Weitere Infos auch auf www.talentiert.at
Rasantes Wachstum bei TIMESOZIAL in Oberösterreich
Über einen rasanten Mitglieder-Zuwachs konnte Tobias Plettenbacher von TIMESOZIAL in Oberösterreich berichten. Die Zeitbank organisiert Nachbarschaftshilfe, wobei jede Stunde dabei gleich viel wert ist. “Wir haben jetzt 550 Mitglieder in acht Regionalgruppen”, freut sich Plettenbacher und stellt die gemachten Erfahrungen gern anderen zur Verfügung. Derzeit bestehen Interessentengruppen in Ebensee, Bad Goisern und Ischl. Info: www.timesozial.org
Talente Tauschkreis Graz feiert 15 Jahre
Der Talente Tauschkreis Graz besteht seit 1995, versammelt über 200 Mitglieder und ist damit eines der vier steirischen Tauschsysteme. Der Tauschkreis arbeitet im Großraum von Graz und macht seit zwei Jahren gute Erfahrungen mit einem neuen dreigliedrigen Mitgliedsbeitrag-System sowie mit dem Ausbau kultureller Aktivitäten. “Am 30. Oktober feiern wir unser 15-jähriges Bestehen und laden jetzt schon dazu herzlich ein”, erkärt Brigitte Elser, die auch ein selbst entwickeltes Tauschkreis-Spiel mitbrachte, das weiterentwickelt werden soll.
Von steigenden Mitgliederzahlen berichtete auch Maria Prem (Bild rechts) vom Talente Tauschkreis Oststeiermark. Dieser zählt über 200 Mitglieder in 8 Regionalgruppen, wobei sich die Hauptgruppe in St. Florian befindet.
15 Jahre Talente in Tirol
Ebenfalls das 15jährige Bestehen feiert heuer das Talente Netz Tirol. “Die Feierlichkeiten sind am 1. und 2. Oktober 2010 in Innsbruck geplant”, berichtet Gaby Carl (Bild links).
Neuer Tauschkreis-Verbund in Ostösterreich: Auftaktfest am 22. Mai 2010
An der Steigerung von Leistungsfähigkeit und Attraktivität der Tauschsysteme wird seit gut einem Jahr in Ostösterreich gearbeitet. Mit dem Ergebnis, dass ein neuer Tauschverbund entstanden ist, der sich mit einem großen Fest am Samstag, 22. Mai 2010 am Rathausplatz in St. Pölten vorstellt. “Im Tauschverbund Ost sind der Talente Tauschkreis Niederösterreich, der neue Talente Tauschkreis Südburgenland, Talente Wien sowie Lets Wien vereint”, erklärt Franz Holzer vom TTK Niederösterreich, der ebenfalls seit 15 Jahren besteht und seine “Hausaufgaben” fürs Gelingen der Zusammenarbeit u.a. damit angeht, nicht einbringliche Forderungen auszubuchen. Über eine Umlaufgebühr. “Für einen bestimmten Umfang an Talente-Umsätzen heben wir 3 % Gebühr ein. Diese gehen in einen Topf, aus dem die Altlasten saniert werden. Danach stehen diese Talente für Gemeinschafts- oder Sozialprojekte zur Verfügung.
Die Zusammenarbeit im Tauschverbund Ost umfasst die Organisation eines gemeinsamen Marktplatzes sowie die Verwendung eines gemeinsamen Zeitwertscheines, der ebenfalls am 22. Mai vorgestellt wird. Weitere Infos zum Tauschkreis-Fest hier…
Tauschssysteme in Kärnten
Aus Kärnten reisten zwei Tauschsysteme zum Vernetzungstreffen an: Der Talente Tauschkreis Kärnten, der seit 1997 besteht und rund 300 Mitglieder umfasst. Als kleinerer, aber sehr konstanter Tauschkreis besteht seit dem gleichen Jahr der Talente Tauschkreis Klagenfurt, der 70 ständige Mitglieder ausweist, kein Verein sondern eine Arbeitsgemeinschaft ist und seit 2004 Zeitgutscheine verwendet. “Die Gutscheine vereinfachen die Tauschbuchhaltung”, erklärt Eva Liegl. Aufgrund der Kleinheit verfügt der Tauschkreis noch nicht über eine EDV-Verrechnung, “was uns ein wenig Sorgen macht.”
Beim Vernetzungstreffen dabei waren weiters u.a. das Talente-Netz Tirol, Ralf Gruber von GIT, das Generationennetzwerk, LETS Wien und der Talente Tauschkreis Wien, der Ressourcentauschring Salzburg, die Lebenshilfe Salzburg sowie der Tauschring Lindau-Wangen vertreten.
Neuorganisation in Salzburg
Seit rund eineinhalb Jahres befassen sich mehrere engagierte Initiativen wie Talente Salzburg und der Ressourcentauschring mit der Schaffung eines Salzburger Regiogeldes, das nun kurz vor der Umsetzung steht. In diesem Kontext überlegt nun auch die Lebenshilfe im Zuge der Neuorganisation ihrer Werkstatt einen Einstieg ins System mit dem Hintergrund, über die Komplementärwährung Freizeitgestaltung und Urlaubsbegleitung für Werkstätten-Mitglieder zu ermöglichen.
Impulsreferat: Komplementärwährungen – Mut und Know How zum anders Leben
Unter Komplementärwährungen versteht man ergänzende Zahlungs- und Verrechnungssysteme zusätzlich zum Eurogeld. Im Impulsreferat “Komplementärwährungen – Mut und Know How zum anders Leben” ging Veronika Spielbichler, Obfrau des Unterguggenberger Institutes der Frage nach, welches Menschenbild, welche Werte und welches Gesellschaftssystem dahinter stehen und welche Rolle Zweitgelder im gesellschaftlichen Wandel einnehmen können.
Das bestehende Geldsystem verteilt, ungehindert durch entsprechende Steuerpolitik der Staaten, von Arm zu Reich und begünstigt damit einen Rückfall in feudale Strukturen. Geld und Produktionsmittel konzentrieren sich in den Händen weniger. Die Logik der Wirtschafts-Wachstumsspirale nach dem Motto Groß frisst Klein führt durch Konzentrationsprozesse dazu, dass sich der viel gepriesene Markt zugunsten einiger Monopolisten gerade selbst abschafft, die Demokratie ausgehebelt wird. Die Staaten reagieren darauf mit Armutsverwaltung und Förderung der privaten Wohltätigkeit nach altem Muster – hier der edle Spender, dort der bedürftige Empfänger.
Eine Politik, die immer mehr Menschen zu Almosenempfängern macht, ist kein Sozialsystem mit Zukunft. Gelebte Demokratie sollte sich vom derzeitigen zinseszinsbelasteten Schuldgeld-Monopol verabschieden. Komplementärwährungen bieten bei der Gestaltung der Gesellschaft mehrere Chancen zum Kurswechsel. Im Sozialbereich ebenso wie bei der Umstellung auf erneuerbare Energien und nachhaltige, rohstoffschonende Wirtschaftsweisen. Sie ermöglichen eine längst überfällige Neubewertung der Arbeit und Wertschätzung für jene Tätigkeiten, ohne die die bestehende Erwerbsarbeitsgesellschaft garnicht existieren könnte. Als Instrumente wirtschaftlicher Ermächtigung erhöhen sie den Spielraum für autonomes Handeln für jeden Menschen wie auch für Gemeinschaften, was nach den Ergebnissen moderner Glücksforschung wesentlich zum Wohlbefinden und zur psychischen Gesundheit beiträgt.
Sind Komplementärwährungen also die Lösung all unserer Probleme? Nein – Korrekturen am bestehenden Geldsystem wie sie beispielsweise von ATTAC seit Jahren gefordert werden sind ebenso notwendig wie eine entsprechende Steuerpolitik des Staates zur Umverteilung des von allen erwirtschafteten Wohlstandes. Das Menschenrecht auf Leben muss im 21. Jahrhundert auch seine Entsprechung in gesellschaftlichen Strukturen finden, wozu auch die Grundeinkommensidee zählt.
Komplementärwährungen sind Zahlungs- und Verrechnungssysteme und damit noch nicht automatisch gemeinnützig. Wie daraus Gemeinwohl entsteht, war anschließend ebenso Thema in der Diskussion wie das Wörgler LA21-Jugendprojekt I-motion, das mit Gutscheinen Hilfsdienste von Jugendlichen belohnt.
Zu den sozialen Aspekten von Tauschkreisen zählt die Integration des Schenkens ins Tauschkreisleben. Dafür werden u.a. Allgemein- oder Gemeinschaftskonten verwendet, wobei Initiativen dafür auch Benefiz-Aktionen wie Flohmärkte durchführen. Weitere Aktionen sind Schenktage oder Gib-und Nimm-Basare, in denen die Ökonomie des Gebens gelernt wird. Die Erfahrung zeigt zudem, dass sich diese Konten oft leichter füllen als sie dann in Anspruch genommen werden. “Bedürftige melden sich nicht, niemand will ein Sozialfall sein”, schildert Christa Zwitter vom Talente Tauschkreis Klagenfurt die Problematik, vor der mehrere Initiativen stehen.
“Wir bemühen uns, eine neue Kultur der Achtsamkeit zu entwickeln. Wie geht es den anderen? Wo kann man helfen, auch bei Nicht-Mitgliedern”, erklärt Tobias Plettenbacher die neue Praxis bei TIMESOZIAL. So werden z.B. von der Regionalgruppe Gusental frisch gebackenen Eltern ein “Weisen-Geschenk” in Form von Salz, Brot und 10 Stunden Nachbarschaftshilfe überbracht.
Konstruktive Arbeitsgruppen
Am Sonntag Nachmittag befassten sich Arbeitsgruppen mit den Themen Öffentlichkeitsarbeit und Sponsoring, Zusammenarbeit mit Gemeinden und Kooperationen, der Kommunikation und dem Austausch von Informationen sowie mit der Gründung einer Mitfahrzentrale für Tauschsystem-Mitglieder. Rolf Schilling wies bei der abschließenden Präsentation noch darauf hin, dass der Tauschkreis Vorarlberg die Taltente-Genossenschaft als rechtliche Plattform für alle österreichischen Tauschsysteme zur Verfügung stellt.
Als Termin für das nächste österreichweite Vernetzungtreffen in St. Virgil in Salzburg wurde der 9. und 10. April 2011 vereinbart.
Auf ein frohes Wiedersehen 2011! Weitere Bilder vom Vernetzungstreffen der österr. Tauschsysteme hier in der Galerie.