Zum Freigeld-Bauprogramm zählte 1932/33 Tourismus-Infrastruktur, die die Jahrzehnte überdauert hat und teilweise heute noch besteht. Für Sommergäste wurden Wanderwege wie der Fuchsweg im Süden von Wörgl und ein rund 1,2 km langer Trittsteig in die Aubachschlucht angelegt, für den Wintersport im Herbst 1932 die Sprungschanze am Fuß des Hennersberges. Und im Frühjahr 1933 bezahlte die Nachbargemeinde Kirchbichl die Arbeiter beim Bau des Moorstrandbades mit Freigeld.
„Luftkurort – Sommerfrische – Wintersportplatz“ – so titelte in den 1930er Jahren der „Verkehrsverein Wörgl“ seinen Werbeprospekt für den Tourismus, in den man nach Elektrifizierung der Eisenbahn große Hoffnungen setzte. Nun war das Anheizen der Lokomotiven im Wörgler Heizhaus für die Fahrt über den Brenner nicht mehr nötig, schlagartig verbesserte sich die Luftqualität im Ort und schuf damit die Voraussetzung für den Tourismus als neuen Wirtschaftszweig.
Attraktion war freilich auch das Wörgler Freigeld selbst, von dessen Wirkungsweise sich vor Ort viele „Freiwirte“ – so bezeichneten sich die Anhänger von Silvio Gesells Natürlicher Wirtschaftsordnung – überzeugen wollten. Hans Jüllig war einer davon, der im Winter Wörgl besuchte und seine Eindrücke im Bericht „Wörgl im Schnee“ festhielt. Dieser zählt zu den Augenzeugenberichten im Archiv des Unterguggenberger Institutes, das dank der Familie Michael Unterguggenbergers über hunderte Originaldokumente aus den 1930er Jahren verfügt.
Wörgler Freigeld & der Traum vom Fliegen
„Man muss an ein Bild des großen Pieter Breughel denken, wenn man die Unmenge bunt gekleideter, fröhlicher Menschen betrachtet, die sich in einer langen, schmalen Linie den gespannten Umfriedungsseilen der Sprungschanze entlang zieht. Auf halber Höhe der halsbrecherisch steilen Schneerutschbahn befindet sich die Schanze und der Aussichtsturm für Sportrichter und Ehrengäste. Dahin steigen wir gemächlich plaudernd empor“, schreibt Hans Jüllig, der mit Bürgermeister Michael Unterguggenberger unterwegs ist. „Und nun ertönt durchs Megaphon der Ruf `Nummer eins!´ – der kurze Ton einer Signalpfeife und schon rast der erste kühne Springer Hans Hack vom Skiclub Schwaz in unheimlichem Saus hernieder. Leise wippt er in den Knien, die Leinwand mit der Nummer aus seinem Rücken knattert wie ein Segel im Wind. Er hat Schneezuggeschwindigkeit! Jetzt hat er die Absprungstelle erreicht. Im entscheidenden Augenblick, just am Rande des gähnenden Abgrundes, entspannt er elastisch die Beine und schwebt in hohem Bogen, mit den Armen bedächtig in der Luft kreisend, der Tiefe zu. Sicher setzt er auf der abschüssigen weißen Fläche auf uns saust in aufrechtem Stand elegant den Abhang hinunter, weit hinaus in den schneebedeckten Grund des Inntals. Ein Meistersprung folgt nun dem anderen. Als Höchstleistung werden 65 m gebucht, die Sörensen, der Trainer von Kitzbühel, in der Luft zurücklegt.“
Jüllig hält in seinem Bericht auch fest, dass zum Bau der Sprungschanze 500 Arbeitsschichten aufgewendet wurden, für die die Arbeiter mit Freigeld entlohnt wurden. Einer davon war Josef Elsner. Nachdem der junge Wörgler am Ende seiner Lehrzeit als Spengler 1932 keine Arbeitsstelle in seinem Beruf fand, zog er mit Pickel und Schaufel los und wurde für den Sprungschanzenbau eingestellt. Er erinnerte sich noch in hohem Alter an seine Arbeitsschichten, die montags bis samstags immer von 6 Uhr morgens bis mittags dauerten (Zeitzeugengespräch online https://www.youtube.com/watch?v=i427y_zRO04 ).
Das Eröffnungsspringen auf der neuen Wörgler Sprungschanze nach der Wettlaufordnung des ÖSV, bei dem alle Klassen des Tiroler Skiverbandes und der Grenzverbände teilnehmen konnten, fand am 19. Februar 1933 statt. 27 wagemutige Skispringer von Skiclubs in Innsbruck, Kufstein, Wattens, Kitzbühel, Steinach, Maurach und dem Zillertal wies die Nennliste aus, darunter auch Martin Mitterer, Franz Erker und Josef Hochmuth vom T.V. Wörgl. Fünf davon gingen dann allerdings nicht an den Start. Die weitesten Sprünge mit 50 Metern schafften Rudolf Hrabie vom S.K. Innsbruck und Josef Klingler vom S.K. Kitzbühel.
Die damals neue Sprungschanze ist heute schon wieder Geschichte. Die Anforderungen ans Schanzenprofil haben sich geändert. Als die „Wörgler Flughunde“ vom Sportverein SC Lattella Wörgl (Info http://www.flughunde.tirol/) 2006 die Sprunganlage im Rahmen eines EU-Projektes als Mattenschanzenanlage ausbaute, blieb die historische Schanze dabei ausgespart.
Sommerfrische seinerzeit
Mit der Eisenbahn reiste im Sommer 1933 der Freiwirtschaftler Josef Grießler an, um sich „vom wirtschaftlichen Erfolg und seinen psychologischen Wirkungen“ selbst ein Bild zu machen. Sein Reisebericht „Sommerfahrt nach Wörgl“ wurde im Juli 1933 in der Zeitschrift „Das Ziel“ veröffentlicht.
„Nach einem kräftigen Imbiss, den uns die Freiwirte Burgstaller und Marchesani in dessen gemütlichem Café (Café Zentral in der Bahnhofstraße) kredenzten, galt unser Besuch zunächst dem Hause Unterguggenberger“, schreibt Grießler und hält seine Eindrücke vom Stadtrundgang fest, der ihn auch zum Verlagshaus Burgstallers, zur neuen Sprungschanze und über die neue Müllnertalbrücke über den Wörgler Bach führte, die im Rahmen des Freigeld-Bauprogrammes in Stahlbeton-Ausführung errichtet wurde.
„Gegen Abend wanderten wir in den benachbarten Ort Kirchbichl, um die mit Schwundgeld errichtete neue Badeanstalt, die am kommenden Sonntag feierlich eröffnet werden soll, zu besichtigen. `240.000 Schilling hat sie gekostet und unsere Arbeitslosen wurden eine zeitlang der drückendsten Sorge enthoben´, erzählt uns der Pächter des prächtigen Strand-Restaurants. Indessen begucken wir neugierig den hohen Sprungturm und die Kajüten des warmen, moorhältigen Bades. Ein wenig zu kalt ist das Wetter, sonst hätten wir gleich an Ort und Stelle von dieser wohltätigen Einrichtung Gebrauch gemacht“, heißt es in Grießlers Bericht, der die Reise nach Wörgl nicht nur wegen „der praktischen Durchführbarkeit“ des Freigeld-Gedankens, sondern auch der „österreichischen Naturschönheiten“ wegen empfiehlt.
Zu diesen zählte im Sommer 1933 eine Wanderung am Fuchsweg bis zum Eisstein (weitere Info https://vero-online.info/ein-ausflug-ins-freie-und-in-die-geschichte-der-fuchsweg/) ebenso wie in die heute nicht mehr begehbare Aubach-Schlucht, die im Rahmen der mit Freigeld bezahlten „Notstandsarbeiten“ mit einem rund 1,2 km langen Trittsteig und Brücken aus Holz erschlossen wurde. Insgesamt wurden an die 120 Ruhebänke entlang der Wanderwege aufgestellt.
Freigeld-Rundweg heute
Die Sommerfrische erlebt heuer aufgrund der Corona-Pandemie bedingten Reisebeschränkungen eine Renaissance. Wer heute auf den Spuren des Wörgler Freigeldes wandern will, kann das auf einem ausgeschilderten Rundwanderweg, der zu Plätzen und Orten führt, die mit dem historischen Geldexperiment in Verbindung stehen. Beginnend beim Heimatmuseum gegenüber der Kirche führt die Route in die Unterguggenberger Straße, wo sich im historischen Wohnhaus der Familie des Freigeld-Bürgermeisters der Sitz des Unterguggenberger Institutes befindet. Ein Trinkwasserbrunnen im benachbarten Freigarten – einem ehrenamtlich betreuten Gemeinschaftsgarten, der nach Kriterien der Permakultur angelegt wurde – bietet sich als erfrischende Raststation an. Über die erste Silvio Gesell-Straße der Welt, die heutige Seisl-Straße, führt die Route durch den Waldfriedhof mit dem Ehrengrab Unterguggenbergers weiter über die Wildschönauer Straße zur Müllnertalbrücke. Die damals stolz verkündende Tafel „Erbaut mit Freigeld 1933“ wurde im Zuge der Brückenverbreiterung in den 1980er Jahren entfernt und ist jetzt im Heimatmuseum ausgestellt.

Von der Müllnertalbrücke führt der Rundweg weiter zur Sprunganlage, an den Eingang der Aubachschlucht und über Feldwege zurück ins Stadtzentrum, wo gegenüber vom Stadtamt seit 1976 ein Denkmal an Michael Unterguggenberger und das Wörgler Freigeld-Experiment 1932/33 erinnert. Die begleitende Freigeld-Rundweg-Broschüre mit Infos zum historischen Geldexperiment ist im Tourismusverbandsbüro in der Innsbrucker Straße 1 ebenso erhältlich wie im Büro der Stadtmarketing GmbH, das heuer von der Speckbacher Straße in der Bahnhofstraße 54 übersiedelt ist.
Radwandern auf Michael Unterguggenbergers Spuren
Mit dem Wörgler Freigeld in Verbindung stehen Ausflugsziele in Nachbargemeinden. Das 1933 unter Verwendung von Wörgler Arbeitswertscheinen errichtete Kirchbichler Strandbad wurde im Lauf der Jahrzehnte modernisiert und ist von Wörgl aus mit dem Fahrrad auf Seitenstraßen gut erreichbar. Lohnendes Ziel für einen Rad-Ausflug ist weiters Hopfgarten, der Geburtsort des Wörgler Freigeld-Bürgermeisters Michael Unterguggenberger. Mit der Gondel auf die Hohe Salve oder ins kühle Nass des Badesees im Salvenaland, die verfallene Ritterburg am Engelsberg am Kulturwanderweg oder das Ortszentrum entdecken oder am Fischteich angeln – Hopfgarten wartet mit einem vielfältigen Freizeitangebot auf.
Hier gibt´s den Freigeld-Rundweg-Flyer als pdf zum Download: Freigeld_Rundweg_Folder
Text: Veronika Spielbichler