Geldreform-Diskussion bei der ATTAC-Sommerakademie

Rund 300 TeilnehmerInnen besuchten die ATTAC-Sommerakademie von 15. bis 19. Juli 2009 in Krems an der Donau, die unter dem Motto “Alternativenwerkstatt zur globalen Krise – Antworten statt Sprachlosigkeit” stand. Das globalisierungskritische Netzwerk forderte lang vor der aktuellen Finanzkrise eine Regulierung und Kontrolle der Finanzmärkte. Ob die Reformschritte auch das Geldsystem selbst betreffen sollten, stand im Mittelpunkt einer Fishbowl-Diskussion am 16. Juli 2009.

 

Wie weit gehen die Reform-Vorschläge von ATTAC? Reicht eine Neuregulierung des bestehenden Systems oder sollen die Reformen tieferliegend im System ansetzen? Diese Fragen veranlassten Stefan Zoklits, bei der diesjährigen ATTAC-Sommerakademie in Krems das Thema Geldreform für eine Diskussionsrunde vorzuschlagen, die auf großes Interesse bei den TeilnehmerInnen stieß.

Sabine Gruber moderierte die Fishbowl-Diskussion mit emer. Prof. Elmar Altvater von der Freien Universität Berlin, der Ökonomin Karin Küblböck (ATTAC Österreich), dem Unternehmer und Lebenskünstler Stefan Zoklits sowie Veronika Spielbichler, Redakteurin und Leiterin des Unterguggenberger Institutes Wörgl.

Für ATTAC formulierten Karin Küblböck und Brigitte Kratzwald Positionen Argumente und hielten dabei fest, dass sie Geld und Zins nicht als Ursache für Finanz- und Wirtschaftskrisen sehen, sondern die Profite. Sie sehen keinen vom Geldsystem ausgehenden Wachstumszwang für die Wirtschaft, an der Kapitalanhäufung sei nicht in erster Linie der Zins schuld, sondern Anhäufung von frei zirkulierendem Kapital, aus dem immer neue spekulative Finanzprodukte entstehen. Eine Veränderung des Systems müsse bei der Änderung der Produktions- und Reproduktionsweisen ansetzen, nicht beim Geldsystem. So würden viele Forderungen von ATTAC in die Richtung gehen, die Macht des Kapitals über die Lebensbedingungen der Menschen zu verringern: Erhalt öffentlicher Dienstleistungen, Umverteilung durch Steuern, Arbeitszeitverkürzung und Entschuldung.

Eine grundsätzlich andere Position zum Thema Auswirkungen von Zins und Geldsystem vertraten Stefan Zoklits und Veronika Spielbichler. Zinsen erhöhen die Kosten, erfordern dadurch höhere Profite, üben einen Wachstumsdruck auf die Wirtschaft aus und führen in der Zinseszins-Dynamik langfristig zur Umverteilung von Arm zu Reich. Die Haltung, Zins und damit Geld für den Verleih von Geld zu nehmen, liegt dem unbegrenzten Profitstreben des Kapitalismus zugrunde und dient zur Rechtfertigung leistungslosen Einkommens sowie der Spekulation. Der Großteil des heute zirkulierenden Geldes ist Spekulationskapital, für die Abwicklung der Realwirtschaft würden 3 % – manche gehen sogar von noch weniger aus – reichen.

Als Lösung wurde von den Geldreformern zur Überraschung der ATTAC-VertreterInnen aber nicht die ersatzlose Abschaffung des Zinses gefordert, sondern ein bewusster Umgang mit dem Steuerungsinstrument: Für Wirtschaftsbereiche, die hohes Wachstums durch technologischen Fortschritt erbringen können, eignet sich ein Geldsystem mit Zins bei entsprechender begleitender Steuergesetzgebung sehr gut. Anders sieht es in Wirtschaftsbereichen aus, die dieses Wachstum nicht erbringen können – beispielsweise in der Landwirtschaft oder bei Betreuungsdiensten. Wird hier die Wachstumserwartung des kapitalistischen Wirtschaftsystems hineingetragen, führt es zur Ausbeutung und damit zur Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Eine Geldreform könnte die diese Dynamiken berücksichtigen und das jetzige System um nachhaltige Zahlungs- und Verrechnungssysteme ergänzen und damit demokratisieren. Solche Komplementärwährungen eigenen sich für die Sicherstellung der Grund- und damit Nahversorgung mit Lebensmitteln, Energie und Betreuungsdiensten.

Wie diese aussehen könnten, dazu brachten nicht nur Stefan Zoklits (Positionspapier hier nachlesen) und Veronika Spielbichler (Positionspapier hier) Vorschläge ein, sondern auch Marianne Schallhas von der Arbeitsgemeinschaft gerecht wirtschaften (hier nachlesen).

Prof. Elmar Altvater zeigte sich der Idee der Regionalwährung gegenüber aufgeschlossen, schätzt aber die wirtschaftliche Bedeutung derzeit als sehr gering ein. Zur Sprache kam in der Diskussion auch das Wörgler Freigeld, wobei hier vor allem auf den Effekt der hohen Umlaufgeschwindigkeit und damit der wirtschaftsbelebenden Funktion der Zweitwährung für die Regionalwirtschaft in Form lokaler Wertschöpfung hingewiesen wurde.

Resultat der zweistündigen, sehr sachlich geführten Diskussion war eine Annäherung der Standpunkte. “Wir werden im Herbst weiter diskutieren”, freut sich Stefan Zoklits, der im Südburgenland zu Hause ist und sich seit 12 Jahren mit dem Thema Geldreform beschäftigt. Sein Ziel: Ein Positionspapier zum Thema Geldreform ausarbeiten und bei der ATTAC-AktivistInnen-Versammlung im Herbst präsentieren.

  

Autor: Veronika Spielbichler, Fotos: David Walch für das Unterguggenberger Institut Wörgl