Michael Ende, am 20. Februar 1991
Sehr geehrter Herr Rapp!
Selbstverständlich können Sie aus meinen Briefen abdrucken, was immer Ihnen richtig und wichtig scheint. Es ist ja wahrhaftig keine Schande, öffentlich zu bekennen, dass man sich mit den Schriften Silvio Gesells beschäftigt. Mein Problem liegt vielmehr darin, dass ich, seit bekannt geworden ist, dass ich mich für die Geld-Problematik interessiere, mit einer sehr großen Anzahl von Meinungen und Theorien confrontiert worden bin, die zwar alle darin übereinstimmen, dass unsere Geldwirtschaft gründlicher Änderungen bedarf, aber im Was und Wie dann weit auseinandergehen. Das reicht von den Leuten in Achberg, die von R. Steiners “Dreigliederung des sozialen Organismus” herkommen, bis zu den Leuten aus dem “Prager Frühling”, bei denen doch noch irgendwo Marx um die Ecke schaut.
Ich habe auch gesprochen und korrespondiert mit dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Binswanger zu St. Gallen, dessen Buch “Geld und Magie” (Edition Weitbrecht, Stuttgart) mir den Nerv des Problems sehr gut darzustellen scheint, nur kommt es zu keinem konkreten Lösungsvorschlag. Ich habe auch in einem öffentlichen Gespräch mit Joseph Beuys auf die Gedanken Gesells hingewiesen (“Kunst und Politik, ein Gespräch – erschienen als Buch bei FIU-Versand der Freien Hochschule Argental, D-7988 Wangen-4).
Was ich, vor allem, in Discussionen mit Fachleuten immer wieder einsehen muss, ist, dass es mir einfach an allzuvielen wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen fehlt, um wirklich die eine oder andere Ansicht vertreten oder widerlegen zu können. Was ich aber kann, das ist immer wieder und mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, dass in der Geldfrage das wohl entscheidenste Problem für jede Industriegesellschaft liegt und dass die Dinge einen schlimmen Verlauf nehmen werden, wenn dieses Porblem nicht gelöst wird. Ich bemühe mich deshalb seit einigen Jahren, so etwas wie es der “Club of Rome” für die ökologischen Fragen war, für die Geldwirtschaft zu initiieren. Merkwürdigerweise habe ich bis jetzt am meisten Interesse dafür in Japan gefunden. Nun, warum nicht ein “Club of Tokyo”?
Die größte japanische Fernsehgesellschaft, N.H.K., will nächstes oder übernächstes Jahr schon eine Serie von wissenschaftlichen Sendungen starten über den Zusammenhang der ökologischen Katastrophen mit den Zwängen der Geldwirtschaft. Dazu wollen sie mich als einen, der die “Gretchenfrage” stellt. Sie wollen auch von mir Namen von Vertretern der verschiedenen Richtungen. Können Sie mir da vielleicht mit einer Liste möglicher Teilnehmer, die dazu geladen würden, helfen? Ich glaube, es wäre schon viel getan, wenn das Problem als solches überhaupt einmal ins Bewusstsein der Öffentlichkeit käme. Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass wir unter den gegenwärtigen Verhältnissen im Grunde nur die Wahl haben zwischen einer ökologischen und einer ökonomischen Katastrophe.
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Ende