Werbeaktion für die Tagung Vergeld´s Gott: Plakataktion im öffentlichen Raum 1996. Foto: Veronika Spielbichler

Tagung  in Wörgl 1996: „VerGeld´s Gott“

Wer „Vergelt´s Gott“ in Tirol sagt, sagt danke. In Anlehnung an diese Redewendung  bastelten 1996   die Grüne Bildungswerkstatt Tirol und das Tagungshaus Wörgl die Bezeichnung „VerGeld´s Gott“ für eine Tagung von 7.-10. November 1996  in Erinnerung ans historische Wörgler Geldexperiment und zu aktuellen Geld- und Währungsfragen samt Rahmenprogramm mit Ausstellungen und einem Exkurs ins Thema Geld und Ethik.

Kann Geld auch anders funktionieren? Auswirkungen des Geldsystems auf Wirtschaft und Gesellschaft, kritisches Hinterfragen der Strukturen, Aufzeigen von Zusammenhängen und Alternativen, zum Weiterdenken anregen – dazu bot der Veranstaltungsschwerpunkt reichlich Denkanstöße und Informationen.

Kultur & Wirtschaftskräfte – Joseph Beuys

Den Einstieg ins Thema lieferte die Ausstellung „Skulptur Baumkreuz – Unternehmen Wirtschaft und Kunst – erweitert“  mit Arbeiten von Joseph Beuys  (Wirtschaftswerte), Walter Dahn, Felix Droese, Dinah Frank und Johannes Stüttgen, aufgebaut in der zum Abriss ausgeräumten Wörgler Spitalskirche. Ausgehend von der Auseinandersetzung Beuys´mit Kunst und Kapital stellten die Exponate die Frage „was ist uns was wert?“ Der erweiterte Kunstbegriff von Beuys geht davon aus, dass nicht Geld das Kapital einer Gesellschaft ist, sondern die Fähigkeiten der Menschen. Mit der Abstraktheit von Geld setzte sich Günter Lierschof bei der Vernissage am 19. Oktober 1996 auseinander. In Josef Beuys Denkschule führte  Johannes Stüttgen mit einem Seminar am 5. November ein und mittels museumspädadogischem Programm wurden Schulklassen an die Thematik herangeführt. Veranstaltet wurde die Ausstellung von der Grünen Bildungswerkstatt sowie vom Wörgler Kulturverein EigenArt unter der Projektleitung von Günther Moschig.

Joseph Beuys in „Multiples, München 1985“: „Unsere Kultur ist nicht geprägt von der Kultur, unsere Kultur ist geprägt von den Wirtschaftskräften. Da wäre nichts gegen einzuwenden, wenn man den richtigen Begriff des Wirtschaftens ins Auge fassen würde. Man muss eine andere Vorstellung von Wirtschaft bekommen.“

Haben Sie Geld schon einmal arbeiten gesehen…

„Heute ist die Situation zwar noch nicht so drastisch wie in den 1930er Jahren, aber dass das bestehende System  so nicht haltbar ist, wird immer mehr Menschen bewusst“, erläuterte Jutta Seethaler von der Grünen Bildungswerkstatt die Motivation, gemeinsam mit dem Tagungshaus als Bildungseinrichtung der Erzdiözese Salzburg den  Veranstaltungsschwerpunkt über alternative Geldwirtschaft auf die Beine zu stellen, der sich u.a. auch mit dem Zusammenhang zwischen Geldsystem und Wachstumszwang der Wirtschaft sowie systembedingter Arbeitslosigkeit beschäftigte.

Um in der Stadt auf die Tagung aufmerksam zu machen, trugen die Organisatoren vor Beginn ein großes Schild mit der provokanten Frage „Haben Sie Geld schon einmal arbeiten gesehen?“ vom Tagungshaus durch die Wörgler Innenstadt bis zum Veranstaltungszentrum Komma. Dabei wurde vor Banken, Geschäften und beim Freigeld-Denkmal in der Bahnhofstraße Station gemacht, um zu fotografieren.

Peter Winzeler: „Es ist der Teufel los, wenn wir glauben, der Markt sei Gott“…

Gerecht teilen und den Menschen wieder den Vorrang vor Kapitalinteressen einräumen – dazu rief der Schweizer Theologe Dr. Peter Winzeler bei seinem Vortrag „Geld & Ethik“ am 7. November im Tagungshaus Wörgl auf. Sparguthaben sind Schulden, Geld ist mehr als ein Tauschmittel, die Geldfrage ist untrennbar mit der Eigentumsfrage verbunden und eine stabile Geldwirtschaft sei mit Zins nicht möglich – Peter Winzeler arbeitete heraus, was Geld mit Glauben zu tun hat, welche Richtlinien dazu die Bibel gibt und zog seine Schlüsse: Geld nicht abschaffen, sondern gerechter gestalten. Entschuldung von Entwicklungsländern sei ebenso Gebot der der Stunde wie nachhaltige Bodenpflege.

Spannende Podiumsdiskussion: Was ist Geld?

Als Auftakt zur dreitägigen Tagung im Tagungshaus  Wörgl sowie im Veranstaltungszentrum Komma beschäftigte sich am 8. November 1996 nach der Eröffnungsansprache von Bürgermeister Fritz Atzl eine Podiumsdiskussion unter Moderation des Ö1-Radiomoderator Helmut Waldert vom ORF mit der Frage „Was ist Geld?“. Statements am Podium lieferten vor 75 interessierten ZuhörerInnen der Theologe und Pfarrer Dr. Peter Winzeler, Dr. Dipl.VW Raimund Dietz vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, Dr. Martin Schürz von der Österreichischen Nationalbank, Beuys-Schüler Günter Lierschof und Dr. Otto Kreye vom Starnberger Institut zur Erforschung globaler Strukturen.

Die Tagung

Wie arbeitet das Kapital? Was ist die Ursache für die Konzentrationen, die weltweit passieren? Welche Rolle spielen dabei Zins und Spekulation? Um diese Fragen rankte sich die Diskussion ebenso wie die Referate und Seminare der Tagung.

Am Samstag referierte Dr. Erich Kitzmüller in seinem Vortrag „Geld kennt keine Freundschaft“ über Rationalität und Irrationalität im Gebrauch von Geld. Dr. Raimund Dietz betrachtete die Geldwirtschaft generell und Dr. Martin Schürz von der ÖNB stellte die Europäische Währungsunion vor und die Frage, ob diese eine Antwort auf die Entwicklung der Finanzmärkte sei. Dr. Otto Kreye nahm „Liberalisierung versus Regulierung der internationalen Finanzmärkte“ unter die Lupe.

Als einzige weibliche Referentin stellte am Sonntag Univ.Prof. Dr. Claudia Werlhof die Rolle der Frau im Kapitalismus in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Der Journalist Dipl.Pol. Thomas Wendel aus Deutschland berichtete über das „tierra-fria“-Projekt in Guatemala und warf die Frage „Freigeld als Entwicklungshilfe-Strategie?“ auf. Weder Marxismus noch Neoliberalismus sind Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft erklärte Klaus Schmitt aus Deutschland und der österreichische Freiwirt Ernst Dorfner referierte über „Geldwirtschaft zwischen Wachstum und Kollaps“.

Grundsätzlich war man sich einig: man habe es mit dem Phänomen zu tun, dass sich das Geld von der realen Welt abgelöst hat. „Die Währungsspekulationen haben ein Ausmaß erreicht, dass sie ganze Staaten unter Druck setzen. Solange die Finanzmärkte mehr Gewinn abwerfen als die reale Wirtschaft ist es problematisch“, hielt Dr. Martin Schürz von der Österreichischen Nationalbank fest. Was an der Börse passiere, sei kein Nullsummenspiel – Krisen kippen in die Realwirtschaft zurück. Schürz sprach sich für die Besteuerung kurzfristiger Spekulationen aus.

Ein Vorschlag, aber kein Patentrezept – denn darüber herrschte ebenso Einigkeit, dass es diese nicht gibt. Weder Podiumsdiskussion noch Tagung waren einseitige Systemkritik. Anhänger der eher traditionellen Nationalökonomie wie Dr. Dietz und Dr. Kreye, die zwar die Ungereimtheiten des Systems sahen, es aber nicht in ihren Grundfesten anzweifelten, standen jene Referenten gegenüber, die die Abkehr vom bestehenden Geldsystem für unabdingbar hielten.

Die Problematik der Verschuldung von „Entwicklungsländern“ kam ebenso zur Sprache wie die Forderung nach einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Wirtschaft. Claudia Werlhof schlug vor, sich vom bestehenden Geld zu befreien, „hinter dem immer Gewaltprozesse stehen“, und „eine Ökonomie zu schaffen, die für das Leben sorgt, anstatt es zu verbrauchen und zu opfern.“

Praktisch angewandte Alternativen wurden bei Arbeitskreisen im Tagungshaus Wörgl vorgestellt. Michael Graf, Leiter des Tauschkreises Talent-Experiment Tirol und Maxie Lavaulx  von LETS in Großbritannien führten mit einem Planspiel  in die Regeln der Tauschwirtschaft ein. Graf berichtete auch vom zinsfreien schwedischen JAK-Banksystem, das durch ein zinsloses Anspar- und Kreditmodell unterm Strich bei  langfristigen Wohnbaufinanzierungen erhebliche Kosten spart. Die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit  – 1996 noch EDCS – sowie die GLS-Bank in Bochum erläuterten ihre nicht auf monetäre Profitmaximierung ausgerichteten Geschäftsprinzipien.

Bereits vor der Tagung startete  1996 im Raum Wörgl ein Talentetauschkreis, der nach einigen Jahren eigenständiger Existenz in den heute noch bestehenden Tauschkreis Talentenetz Tirol eingegliedert wurde.

Unterguggenberger-Ausstellung im  Heimatmuseum

Anlässlich der Tagung bot eine Sonderausstellung im Wörgler Heimatmuseum erstmals umfassende Informationen über den Ablauf des Wörgler Freigeld-Experimentes 1932/33 sowie dessen Initiator Michael Unterguggenberger. Die Eröffnung am Samstag, 9. November 1996 stieß auf großes Interesse bei Bevölkerung und Tagungspublikum. Zusammengetragen und aufbereitet wurden Bilder, Exponate und Texte von Veronika Spielbichler, 1996 noch Rundschau-Redakteurin. Die Bundesmusikkapelle Bruckhäusl erklärte sich bereit, den „Erinnerungsfestmarsch“, den Michael Unterguggenberger für die Wörgler Arbeitermusik 1912 komponiert hatte, in moderner Besetzung zur Ausstellungseröffnung aufzuführen. Im Notenfundus des Freigeld-Bürgermeisters finden sich auch Hausmusik-Stücke für Zither,  von denen der Wörgler Zitherspieler Bartl Egger zwei vortrug. Wörgls Weltbedeutung rief Irene Turin mit einer kurzen Lesung aus Ezra Pounds „Pisaner Cantos“ in Erinnerung, in denen dem Wörgler „Geld ohne Wucher“ ein literarisches Denkmal gesetzt wurde.

Die Grüne Bildungswerkstatt Tirol erstellte zur Tagung die Werkstattschrift “VerGeld´s Gott”, die u.a. Niederschriften der Podiumsdiskussionsbeiträge sowie der Referate enthält. Sie steht hier kostenlos als pdf-Dokument zum Download bereit: werkstattschrift1996